Rumänien hat im europäischen Vergleich noch viele natürliche und naturnahe Gewässer, die Hotspots der Biodiversität sind. Doch bisher wurden mindestens 545 Wasserkraftwerke errichtet, und der Bau weiterer Anlagen soll subventioniert werden. Die Forschenden zeigen in ihrem Überblick über die geografische Verteilung, dass 49 Prozent der Kraftwerke in EU-Flora-Fauna-Habitatgebieten oder anderen Schutzgebieten liegen; 17 Prozent der Wasserkraftwerke wurden in naturnahen oder naturbelassenen Flussabschnitten gebaut, die sich zuvor in einem „guten" oder „sehr guten“ ökologischen Zustand gemäß der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie befanden und daher nicht beeinträchtigt werden sollten.
„Zwar gibt ein europäischer Leitfaden grundsätzlich vor, welche Anforderungen Wasserkraftwerke erfüllen müssen, die in EU-Flora-Fauna-Habitatgebieten liegen. Mit der Umsetzung dieser Vorgaben hapert es aber leider, denn kleine Wasserkraftwerke werden oft unwirtschaftlich, wenn sie zur Erfüllung der Umweltauflagen beispielsweise mit funktionierenden Fischpässen ausgestattet werden. Außerdem blenden Umweltverträglichkeitsprüfungen oft die großräumigen und langfristigen Auswirkungen von Stauanlagen aus“, erläutert Martin Pusch, Co-Autor vom IGB, die grundsätzliche Problematik.
Fische wie Bachforelle und Groppe stark betroffen
Die untersuchten Wasserkraftwerke beeinträchtigen die Fischpopulationen sowohl flussaufwärts als auch flussabwärts des Staudamms erheblich, beispielsweise durch die Wasserableitung aus dem Hauptlauf, als Wanderhindernis und durch Flussbegradigung. Das Forschungsteam verglich die aktuellen Vorkommen von Bachforelle und der in der EU geschützten Groppe an 32 Monitoring-Stellen in Karpatenbächen im Vergleich zu Referenzdaten, die vor dem Kraftwerksbau erhoben wurden. „62 Prozent der Ober- und Unterläufe der Bäche haben eine oder beide Fischarten im Vergleich zum Referenzzeitraum verloren. In 38 Prozent der Ober- und 19 Prozent der Unterläufe fehlt nun eine Fischart, und in 24 Prozent der Oberläufe und 43 Prozent der Unterläufe fehlen beide Fischarten. Das ist eine erschreckend negative Bilanz“, unterstreicht Gabriela Costea, die Erstautorin der Studie und ehemalige IGB-Forscherin.
Insbesondere die Masse an kleinen Wasserkraftanlagen ist problematisch
Der Wasserkraft-Boom in Rumänien ist vor allem auf die Umsetzung der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie zurückzuführen, die mit Subventionen für den Bau und Betrieb von Wasserkraftwerken unterstützt wird. So entstanden viele kleine Wasserkraftwerke mit bis zu 10 MW Leistung, die kaum zur Energiegewinnung beitragen – nur drei Prozent der gesamten Energiegewinnung stammt aus diesen über 500 kleinen Anlagen. Umweltstandards wurden beim Bau häufig nicht ausreichend berücksichtigt: „Bei sehr großen Wasserkraft-Projekten in Rumänien werden zwar Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt, bei kleineren jedoch nur sehr selten“, erklärt Martin Pusch.
Aktuell sind zahlreiche weitere Wasserkraftwerke in Planung beziehungsweise im Bau. Besonders umstritten ist der Bau des Wasserkraftwerks Dumitra im Nationalpark „Schlucht des Jiu-Flusses“ an einem der letzten unverbauten Flüsse der Südkarpaten. Die Baugenehmigung für dieses Wasserkraftwerk wurde vom Berufungsgericht in Bukarest aufgehoben, weil eine Beeinträchtigung der geschützten Lebensräume und Tierarten in diesem EU-Flora-Fauna-Habitatgebiet zu erwarten ist. Allerdings missachtet die nationale Umweltschutzbehörde dieses rechtskräftige Urteil und möchte eine erneute Umweltprüfung durchführen, um doch eine Baugenehmigungen zu erhalten.
„Das Problem betrifft aber nicht nur Rumänien oder Südosteuropa, sondern bedarf der grundsätzlichen Klärung. Die EU sollte dringend die eigene Umwelt- und Energiepolitik kohärent gestalten, um die schweren Zielkonflikte zu lösen. Die Ziele des EU Green Deals werden sich mit den aktuellen Regelungen sonst kaum erreichen lassen. Erfreulicherweise besteht die Möglichkeit, auf erneuerbare Energieversorgung umzusteigen UND die meisten der Bäche und kleinen Flüsse in Europa naturnah zu erhalten oder zu renaturieren – weil deren geringe Wasserkraft für das Gelingen der Energiewende vernachlässigbar ist“, resümiert Martin Pusch.