Pressemitteilung
Angelina Tittmann

Lebendiges Wasser

Forschungsagenda zur biologischen Vielfalt der Binnen- und Küstengewässer veröffentlicht
Binnen- und Küstengewässer beherbergen eine einzigartige Vielfalt an Leben. Gleichzeitig gehören Bäche, Flüsse, Seen, kleine Stillgewässer, Feucht- und Mündungsgebiete sowie das Grundwasser in Deutschland – und weltweit – zu den am stärksten bedrohten Ökosystemen. Im Gegensatz zu Land- oder Meerökosystemen steht der Verlust der biologischen Vielfalt in Binnengewässern jedoch bisher kaum im öffentlichen Fokus. Forschende aus 20 deutschen Wissenschaftseinrichtungen möchten die „stille“ Krise ins Bewusstsein rücken und haben eine gemeinsame Forschungsagenda vorgelegt. Das unter Federführung von Dr. Sonja Jähnig, Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), verfasste Positionspapier wurde heute im Rahmen des 15. BMBF-Forums für Nachhaltigkeit (FONA) in Berlin vorgestellt.

Binnen- und Küstengewässer zählen zu den Hotspots der Biodiversität. | Foto: Pixabay

Der dramatische Rückgang der Biodiversität, also das Verschwinden von Arten, Populationen, Lebensräumen oder gar ganzen Ökosystemen, verläuft in Binnengewässern deutlich schneller als an Land oder im Meer. Nirgendwo sonst können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so viele aussterbende Arten dokumentieren wie in Flüssen, Seen, Küstengebieten und im Grundwasser. Auch in Deutschland stehen Süßwasserarten und ihre Lebensräume an der Spitze der Roten Liste.

Biodiversitätsverlust oft unbemerkt und mit Risiken verbunden

Dieser Verlust der biologischen Vielfalt könnte künftig auch für den Menschen zum Problem werden. Und zwar dann, wenn die Gewässer wichtige Funktionen wie beispielsweise die Versorgung mit Trinkwasser, die Bereitstellung von Fischereiressourcen, den Abbau von Schadstoffen oder die Naherholung nicht mehr leisten können. Wegen dieser essentiellen Ökosystemleistungen bräuchten sie eigentlich besonderen Schutz und eine nachhaltige Nutzung. Doch die stille Krise der aquatischen Biodiversität verläuft im doppelten Sinne unterhalb der Oberfläche, häufig unbemerkt von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Derweil steigt der Nutzungsdruck durch Landwirtschaft, Industrie, Verkehr, Trinkwasser- und Energiegewinnung, Abwasserentsorgung und Freizeitaktivitäten weiter. Klimaveränderung, eingeschleppte Krankheitserreger und invasive Arten verschärfen die Krise zusätzlich.

Neue Agenda soll Biodiversitätsforschung und Umweltpolitik voranbringen

Um die Gewässerbiodiversität umfassend zu schützen, empfehlen die Autorinnen und Autoren des Papiers, die deutsche Biodiversitätsforschung im Gewässerbereich zielgerichtet weiterzuentwickeln. Die Grundlage hierfür bildet die gemeinsame Forschungsagenda „Lebendiges Wasser: Forschungsagenda zur biologischen Vielfalt der Binnen- und Küstengewässer“, die am 14. Mai 2019 in Berlin vorgestellt wurde.

Die Forschungsagenda zielt darauf ab, den Zustand und die Entwicklung von Gewässerbiodiversität zu dokumentieren, Einflussfaktoren besser zu verstehen, Prognosen abzuleiten sowie Strategien und Maßnahmen für ein nachhaltiges Biodiversitätsmanagement für Gewässer in Deutschland zu entwickeln.

„Wir verfolgen mit unserer Agenda einen ganzheitlichen Ansatz, von der Quelle bis zur Mündung, der das gesamte Einzugsgebiet von Gewässern berücksichtigt“, erklärt Hauptautorin und IGB-Wissenschaftlerin Sonja Jähnig. Dies sei nötig, um Ausmaß, Ursachen und Folgen des Verlustes der biologischen Vielfalt in und an diesen Gewässern zu erfassen.

Als wichtige Querschnittsaufgabe möchten die Forschenden Datenquellen – die den Zustand und die Veränderung der Biodiversität dokumentieren – erschließen, bündeln und kostenfrei zugänglich machen. Darüber hinaus benennen die Biodiversitätsexpertinnen und -experten in ihrer Agenda vier zentrale Forschungsbereiche, die die Umweltpolitik unterstützen und den Erhalt und die Verbesserung der Gewässerbiodiversität und ihre nachhaltige Nutzung sicherstellen sollen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen im Detail die folgenden Forschungsschwerpunkte:

  1. Forschung zur Entwicklung eines zentralen aquatischen Biodiversitätsmonitorings, das innovative Methoden wie eDNA nutzt und so neue Erkenntnisse zu Arten, Ökosystemen und Belastungsquellen ermöglicht.
  2. Grundlegende ökologische Analysen z.B. zu Einflussfaktoren und Wechselwirkungen in Ökosystemen, den Auswirkungen von Extremereignissen sowie die Erweiterung von Modellansätzen.
  3. Die Berücksichtigung menschlicher Motive und Handlungen sowie die Erarbeitung von Methoden zur Darstellung und Abwägung ökologischer, ökonomischer und sozialer Bedarfe; ebenso die Entwicklung neuer Formen der Vermittlung von und Sensibilisierung für die biologische Vielfalt in Binnen- und Küstengewässern.
  4. Die Bewertung und Optimierung umweltpolitischer Maßnahmen und Bewirtschaftungsoptionen sowie die Entwicklung weiterer Handlungsoptionen, um die Gewässerbiodiversität in Deutschland und weltweit zu schützen und zu fördern.

Mit diesen Anregungen bildet die Forschungsagenda den Auftakt eines Dialogs zu den Forschungsbedarfen in Binnengewässern und unterstützt zugleich die Entwicklung des BMBF-Rahmenprogramms „Forschung für nachhaltige Entwicklung (FONA)“.

DOI: 10.4126/FRL01-006414368 >

Jähnig SC, Adrian R, Arlinghaus R, Becks L, Behrmann-Godel J, Berendonk T, Borchardt D, Dutz J, Freyhof J, Gaedke U, Geist J, Gessner M, Großart H-P, Haase P, Hahn HJ, Hering D, Hölker F, Jeschke J, Jürgens K, Kremp A, Kube S, Labrenz M, Leese F, Pätzig M, Pauls S, Piontek J, Pusch M, Schäfer RB, Schneider J, Sommerwerk N, Stöck M, Straile D, Suhling F, Wagner A, Weitere M, Weithoff G, Winkelmann C, Worischka S. 2019. Lebendiges Wasser: Forschungsagenda zur biologischen Vielfalt der Binnen- und Küstengewässer.

Hintergrund

Anlässlich des 15. BMBF-Forums für Nachhaltigkeit (13.-14. Mai 2019) zum Thema „Artenvielfalt erhalten – Forschen für unsere Zukunft” und der im Mittelpunkt stehenden „Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt“ haben die Autorinnen und Autoren der Forschungsagenda die wichtigsten Forschungsbedarfe in und an Binnengewässern identifiziert. Der Austausch mit der Strategiegruppe Küste des Konsortiums Deutsche Meeresforschung trägt der (ursprünglichen) Verbundenheit dieser Lebensräume Rechnung.

Ansprechpersonen

Sonja Jähnig

Abteilungsleiter*in
Forschungsgruppe
Aquatische Ökogeographie
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