Ein großer Hecht wird von einem Angler vorsichtig zurückgesetzt. | Foto: Boddenhecht, IGB
Die Forschenden unter Leitung von Prof. Robert Arlinghaus vom IGB und der Humboldt-Universität zu Berlin analysierten rund 19.800 Fangaufzeichnungen in Tagebüchern, die von Anglerinnen und Anglern in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern ein Jahr lang geführt wurden. Untersucht wurde das freiwillige Freilassen von geangelten Fischen, deren Mitnahme ansonsten gesetzlich erlaubt ist. Arten oder Größen, die gesetzlich geschützt sind, müssen immer freigelassen werden.
„Viele Anglerinnen und Angler wägen sorgsam ab, ob sie einen gesetzlich mitnahmefähigen Fisch tatsächlich entnehmen. In Anglerkreisen und auch darüber hinaus wird die Praxis des freiwilligen Freilassens geangelter Fische – im Englischen Catch-and-Release-Angeln genannt – kontrovers diskutiert. Unsere Erkenntnisse helfen, die ethische Debatte in den gesellschaftlichen Kontext einzuordnen“, erläutert Fischereiprofessor Robert Arlinghaus.
Meeresfische sowie Forellen- und Lachsarten werden am liebsten behalten, Karpfenartige weniger
Die Studie ergab, dass Salzwasserfische wie Dorsch und Hering sowie Lachs und Forelle (Salmoniden) nach dem Fang deutlich häufiger behalten wurden als Süßwasserfische wie Karpfen, Hecht, Brasse oder Rotauge. Der Grund dafür ist, dass Dorsch, Forelle oder Lachs hierzulande kulturell als kulinarisch hochwertiger wahrgenommen werden als karpfenartige Fischarten (Cypriniden) wie Brassen, Rotfedern, Schleien oder Karpfen. Diese sind deutlich grätenreicher. Allerdings nahmen Angler*innen aus dem Osten (Mecklenburg-Vorpommern) deutlich mehr Cypriniden mit nach Hause als Angler*innen aus dem Westen (Niedersachsen). Dieser Befund deutet auf eine kulturell begründete Präferenz für den Verzehr bestimmter Fischarten hin. Insbesondere in Osteuropa hat der Verzehr von Cypriniden eine sehr lange Tradition, die bis heute anhält.
Die größten Tiere dürfen bei vielen Arten wieder schwimmen
Die Wahrscheinlichkeit, dass Fische nach dem Fang entnommen werden, war bei einigen Arten bei mittelgroßen Fischen am größten. Insbesondere große Karpfen und Hechte wurden deutlich häufiger freiwillig zurückgesetzt als die kleineren Artgenossen. Für den Gewässerbewirtschaftung ist das eine gute Nachricht. Es zeigt, dass viele Anglerinnen und Angler freiwillig den Schutz besonders großer, fortpflanzungsfähiger Tiere fördern, obwohl sie diese besonders wertvollen Laichtiere auch mitnehmen könnten und das nach der Lesart einiger Behörden und Angelverbände auch sollten.
Die Zufriedenheits-Komponente
Angler*innen, die mit ihren vorherigen Angelerlebnissen zufrieden waren, setzten Fische eher wieder frei. „Vergangene Erfolge bestimmen zukünftige Fang- und Mitnahmeentscheidungen mit: Wer gut gefangen hat, setzt an Folgetagen mehr Fische freiwillig zurück. Und ganz allgemein gilt: Besonders erfolgreiche Angler nehmen weniger Fische nach dem Fang mit nach Hause“, erläutert Robert Arlinghaus.
Anglertyp, Angelkönnen und Alter entscheiden mit
Auch der Anglertyp spielte eine Rolle, vor allem die zeitliche Investition in das Hobby, die allgemeine Entnahmeorientierung sowie der Stellenwert des Angelns im Leben eines Anglers oder einer Anglerin. Ältere Menschen sowie Angler*innen, die eher unregelmäßig und nicht sehr erfolgreich angeln, entnehmen höhere Anteile des Fischfangs. Ein junger Mensch, der viel angelt und eine hohe Angelfertigkeit besitzt, setzt hingegen mehr Fische freiwillig nach dem Fang ins Gewässer zurück.
Im Unterschied zu früheren Studien aus den USA war es in der Studie aus Deutschland nicht so, dass emotional eng mit dem Angeln verbundene Personen auch grundsätzlich mehr Fische zurücksetzten. Angler*innen in Deutschland sind deutlich konsumorientierter als im angelsächsischen Raum, was sich darin äußerte, dass hierzulande auch stark spezialisierte Angler*innen je nach Zielart viele Fische mitnahmen, z. B. beim Aal- oder Dorschangeln. Anders ist das beim Angeln auf Karpfen, Hecht oder Barsch. Hier setzen auch in Deutschland die spezialisierten Angler*innen mehr Fische zurück als die weniger spezialisierten.
Die Kultur prägt: In Mecklenburg-Vorpommern wird mehr entnommen als in Niedersachsen
Laut der Studie spielen kulturelle Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland eine wichtige Rolle bei der Mitnahmeentscheidung. So neigten Angler*innen in Mecklenburg-Vorpommern eher dazu, Fische zum Verzehr zu entnehmen, während in Niedersachsen das Zurücksetzen einmal geangelter Fische häufiger praktiziert wurde.
„Die Erkenntnis lässt sich durch unterschiedliche Werte und Normen in West- und Ostdeutschland erklären, insbesondere durch eine stärkere Subsistenzorientierung, die früheren Studien zufolge in Ostdeutschland ausgeprägter ist. Das Ergebnis könnte jedoch auch darauf zurückzuführen sein, dass die Fangbedingungen in den meisten niedersächsischen Gewässern schlechter sind als in den weniger dicht besiedelten und gewässerreichen Gebieten Mecklenburg-Vorpommerns. Angler*innen in Niedersachsen sehen das Zurücksetzen einmal gefangener Fische möglicherweise als Möglichkeit, die geringen Fischbestände trotz hohem Angleraufkommen zu schonen“, sagt Robert Arlinghaus.
Schlussfolgerungen für das Management der Angelfischerei
Die Studie zeigt, dass die Entscheidung für oder gegen die Mitnahme von entnahmefähigen Fischen von vielen Faktoren abhängt. Bei einigen Artengruppen wie den karpfenartigen Fischen ist das freiwillige Freilassen nach dem Fang alltägliche Praxis und betrifft mehr als Hälfte aller gefangenen Fische. Anders sieht das bei Forellen, Dorschen, Zandern oder dem Aal aus, die zu mehr als 90 % nach dem Fang entnommen werden, wenn das Tier das gesetzliche Mindestmaß überschreitet. Ungeachtet dessen ist das freiwillige Zurücksetzen von entnahmefähigen Fischen bei fast allen Arten und vielen Angler*innen verbreitet. Wichtig ist, dass Angler*innen mit dem Fisch sorgsam umgehen und so die Überlebenswahrscheinlichkeit maximieren. Früheren Studien zufolge überleben bei den allermeisten Arten 90 bis 100 % der zurückgesetzten Fische, insbesondere dann, wenn Geräte und Verfahren eingesetzt werden, die zu geringen Verletzungen führen.
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In allen deutschen Gewässern und den meisten Gewässern weltweit gibt es längenabhängige Entnahmevorschriften in Form von Mindestlängen, auch Mindestmaße genannt. Ab diesen Längen dürfen die Fische nach dem Fang entnommen werden. Das Zurücksetzen nicht entnahmefähiger Jungfische ist vorgeschrieben, gute Praxis und allgemein akzeptiert. Kritisch diskutiert wird hierzulande sowie teilweise auch in anderen Ländern (z. B. der Schweiz) das freiwillige Zurücksetzen entnahmefähiger Fische, da dies als Angeln ohne Verzehrsabsicht und somit als Angeln ohne Rechtfertigungsgrund nur zum Spaß verstanden werden kann. Diesen Vorwurf kann man allerdings nur den Anglerinnen und Anglern machen, die gar keine Fische mitnehmen, also alles zurücksetzen. Das betrifft die deutliche Minderheit der Angler*innen. Die meisten betreiben eine selektive Entnahme, das heißt, ausgewählte mitnahmefähige Fische werden entnommen, andere nach persönlichem Ermessen schonend zurückgesetzt. Umfragen in Deutschland haben belegt, dass die selektive Entnahme von der Mehrheit der Gesellschaft als ethisch akzeptierte Praxis eingeschätzt wird, sofern das Zurücksetzen dem Erhalt der Fischbestände dient.
Aus fischereibiologischer Sicht ist das Zurücksetzen von Fischen häufig sinnvoll, um Überfischung vorzubeugen. Das Projekt „Waidgerecht” der Arbeitsgruppe um Professor Robert Arlinghaus erarbeitet aktuell wissensbasierte Empfehlungen, wie das Zurücksetzen von Fischen durch angemessene Gerätewahl und Wahl der Angelbedingungen so schonend wie möglich für die Fische gestaltet werden kann.