Sie entscheiden darüber, ob das Wasser klar und trinkbar bleibt oder trüb und giftig wird, und ob ein Gewässer Kohlenstoff bindet oder Treibhausgase freisetzt: Die Rede ist von den Kleinstalgen, wissenschaftlich Phytoplankton genannt. Rund 1000 davon leben in einem Milliliter Seewasser. Die Anzahl kann aber leicht um 1 bis 2 Zehnerpotenzen variieren. Weil sie so wichtig sind, dienen sie auch als Kennwert, auf den sich Politik und Behörden stützen, um die Wasserqualität zu beurteilen – wie auch in der WRRL.
„Doch dieser Schlüsselparameter, auf den sich die Behörden verlassen – die Vielfalt des Phytoplanktons, die Kennzahl, die das Trinkwasser für mehr als 180 Millionen Europäer sichert –, hängt immer noch von einer Technik des inversen Mikroskops ab, die 1958 entwickelt wurde, dem Jahr, in dem der erste integrierte Schaltkreis gelötet wurde“, sagt IGB-Forscher Prof. Hans-Peter Grossart, Mitautor des Artikels. Das sogenannte Utermöhl-Besiedlungsprotokoll, das in Anhang V der WRRL verankert ist, bildet nach wie vor das Rückgrat der offiziellen Bewertung des Gewässerzustands.
Beispiel Goldalge bei der Oder-Katastrophe 2022: Aussehen sagt nichts über die Giftigkeit aus
Ein Beispiel für die Grenzen dieser alten Methode ist die so genannte Goldalge, die während der Oder-Katastrophe 2022 eine verheerende Rolle spielte. „Man sieht dem Phytoplankton unter dem Mikroskop nicht an, ob es giftig ist oder nicht. Die giftbildende Art Prymnesium parvum, die in der Oder schätzungsweise 1.000 Tonnen Fische und viele weitere Organismen wie Muscheln und Schnecken tötete, sieht genauso aus wie ihre harmlosen Verwandten“, erklärt Grossart.
Eine Abhilfe liegt laut den Autor*innen auf der Hand: Mittels genetischer Analysen kann das Mikrobiom aus Wasserproben analysiert werden. Die Methode nennt sich rRNA-Amplikon-Profilierung.
Schnellere und günstigere Methode – mit besserem Frühwarnsystem
„Das Verfahren ist schneller und kosteneffizienter als die Utermöhl-Methode, wie in Pilotprojekten zur Überwachung von Seen, z.B. in Seen der Voralpen, bereits gezeigt wurde. Außerdem lässt sich die genetische Information digital speichern. Das macht den Datensatz zukunftssicher, da er jederzeit nach funktionellen Markern für aufkommende Belastungen abgefragt werden kann“, erläutert Hans-Peter Grossart.
Diese neuen Ansätze könnten ein besseres Frühwarnsystem bieten, weil die feinen Verschiebungen in der Mikrodiversität aufdeckt und die mechanistische Verbindung zwischen physikalisch-chemischer Störung und der Reaktion der Gemeinschaft erkennbar werden – lange, bevor eine Veränderung in der Zusammensetzung des Phytoplanktons unter dem Mikroskop sichtbar werden würde.
Vorschläge zur Anpassung des Messverfahrens in der WRRL
Die Autoren schlagen deshalb vor, einen „Genomic Plankton Index” in Anhang V der WRRL aufzunehmen. Dies würde die Überwachung der Wasserqualität in Europa verbessern und die Reaktionsfähigkeit der Mitgliedstaaten auf Umweltveränderungen erhöhen. Ein zentraler Vorschlag ist die Förderung eines so genannten Ringtests durch Horizon Europe: Dabei werden identische Proben an mehrere nationale Labore geschickt. Die DNA-Ergebnisse dieser Tests sollen mit den bisherigen Utermöhl-Zählungen verglichen werden, um sicherzustellen, dass die neue Metrik sowohl interoperabel ist als auch in den bestehenden Daten verankert werden kann.
Zusätzlich empfehlen die Autor*innen die Einrichtung eines „Genomics Observatory” für die WRRL. Dieses Observatorium könnte die Planktonproben Europas mit einer Cloud-Plattform verknüpfen, die Hochdurchsatz-Sequenzierungsdaten, KI-gestützte optische Online-Zellzählungen und satellitengestützte Algenblütenwarnungen integriert. Durch das Streaming dieser komplementären Datenebenen direkt in die Dashboards der EU-Überwachung und die „Digital Twin Earth”-Infrastruktur der EU erhielten die Beteiligten nahezu in Echtzeit kreuzvalidierte Indikatoren für die Toxizität von Algen, das Vordringen invasiver Organismen und die Veränderung der biologischen Vielfalt.