Fokus
Nadja Neumann

Globale Ungleichheit in der Seenforschung

Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat festgestellt, dass sich die Mehrheit der weltweit untersuchten Seen in Nordamerika, Asien und Europa befindet, während der „Globale Süden" in der Seenforschung stark unterrepräsentiert ist. Diese geografische Schieflage könnte zu einer verzerrten globalen Wahrnehmung von Seencharakteristika führen. Um dies zu ändern, müssen Forschende jedoch nicht zwangsläufig zu langen Dienstreisen aufbrechen, um Gewässer zu beproben und zu analysieren. Auch das „Capacity Building“ und die Förderung von Mentoring-Programmen für Forschende aus diesen Ländern sind ein Weg, um das Wissensungleichgewicht zu verringern.
Ein Nilpferd im Wasser

Beispielfoto für einen See in Botswana. | Foto: shutterstock, ID: 2338710703

Die in Nature Reviews Earth & Environment veröffentlichte Studie, zeigt, dass von den rund 2.500 wissenschaftlich untersuchten Seen bis 2020 etwa 50 Prozent in Nordamerika, 21 Prozent in Asien und 16 Prozent in Europa liegen. Seen in Afrika, Südamerika und Ozeanien sind hingegen deutlich weniger erforscht.

Seit den 1980er Jahren hat die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen zur Seenforschung um das 74-Fache zugenommen, was das gestiegene gesellschaftliche Interesse an Gewässern widerspiegelt; Seen sind essenziell für die Trinkwasserversorgung, da sie trotz ihrer geringen Flächenabdeckung von knapp zwei Prozent der Erdoberfläche etwa 90 Prozent der an der Erdoberfläche verfügbaren Süßwasserreserven speichern und über ein Drittel der Weltbevölkerung mit Trinkwasser versorgen.

Erforschte Seen sind nicht unbedingt repräsentativ 

Diese erforschten Seen sind jedoch nicht unbedingt repräsentativ für die globalen Durchschnittswerte wichtiger Einflussgrößen wie Fläche, Tiefe, Breitengrad und Temperatur. „Die Konzentration der Forschung auf bestimmte Regionen könnte zu einer verzerrten Darstellung der globalen Seencharakteristika führen, da vor allem kleine, flache Seen in der Forschung weiterhin unterrepäsentiert sind", sagt IGB-Forscher Dr. Thomas Mehner, einer der Autoren der Studie. Es geht also um die Forschungsdisziplin selbst, der wichtige Erkenntnisse fehlen.

Wirtschaftlich starke Länder reagieren eher auf gesellschaftlich aktuelle Forschungsthemen

Wirtschaftliche Faktoren spielen bei diesem Wissensungleichgewicht eine Rolle: Die Studie zeigt, dass der Aufwand eines Landes für Seenforschung erst ab einem Pro-Kopf-BIP von ca. 200 US-Dollar kontinuierlich ansteigt, aber jenseits von ca. 40.700 US-Dollar wieder abnimmt. Zudem beeinflussen aktuelle Umweltbelastungen wie Blüten von Cyanobakterien oder neue chemische Stressoren die Forschungsprioritäten bezüglich der Themenauswahl stärker in wirtschaftlich starken Ländern als in wirtschaftlich schwachen Ländern, wo die Forschung eher traditionelle Themen der Gewässerforschung abbildet. Die Zukunftsprognosen der Studie weisen darauf hin, dass sich das Ungleichgewicht bis 2050 nicht wesentlich abschwächen wird, wenn keine gezielten wissenschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen werden.

Politik sollte Anreize schaffen, Forschende können sich jedoch auch persönlich einbringen

Um das Wissensungleichgewicht zu verringern, betonen die Forschenden auch die Bedeutung von „Capacity Building" und Mentoring-Programmen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterrepräsentierten Regionen. Dies könnte dazu beitragen, die globale Seenforschung ausgewogener und repräsentativer zu gestalten.

Thomas Mehner versucht selbst, seinen Beitrag als Forscher zu leisten, indem er sich die zahlreichen Initiativbewerbungen von Kandidat*innen genauer anschaut. „Es kann sehr zeitaufwändig sein, alle eingehenden Anfragen zu möglichen Stellen für Doktorierende oder Nachwuchsforschende aus Ländern des Globalen Südens zu beantworten, da ich häufig mehrere Nachrichten pro Woche erhalte. Die mögliche Entwicklung eines Forschungsansatzes für die Bewerbung um Stipendien, die dafür notwendigen Unterstützungsschreiben, und die Beratung über Alternativen nach Absagen sind ein erheblicher Teil meiner Aktivitäten geworden. Natürlich freue ich mich dann besonders, wenn eine Stipendienbewerbung positiv beschieden wird. Die Arbeit mit den Nachwuchsforschenden aus dem Globalen Süden ist sehr erfüllend, weil diese mit unglaublicher Motivation und Wissbegierigkeit arbeiten, um ihren Aufenthalt möglichst effizient zu gestalten. Aber auch für Forschende ohne Stipendien für einen Aufenthalt im IGB kann ein Fern-Mentoring sehr sinnvoll sein, da sie für Hinweise und Kommentare zu Forschungsanträgen und Manuskripten sehr dankbar sind. Ein Mentoring-Programm, zum Beispiel der Internationalen Vereinigung für Limnologie, ist dafür eine gute Grundlage. Ich möchte am Ende meiner wissenschaftlichen Laufbahn mit meiner Unterstützung für diese Forschenden etwas zurückgeben, weil ich selbst anfänglich sehr vom Mentoring durch erfahrene Forschende profitiert habe. Und ich hoffe, damit einen kleinen Beitrag zu leisten, dass das im Artikel beschriebene globale Ungleichgewicht in der Gewässerforschung in Stück weit reduziert werden kann.“

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