
Beispielfoto: Im Freien weggeworfene Zigarettenkippe. | Foto: shutterstock_1036273693
Im Rahmen eines siebenwöchigen Monitoringprogramms untersuchte das Forschungsteam des IGB im Sommer 2019 sechsundfünfzig Wasserproben aus vierzehn Seen, neun Teichen, neun Flüssen, acht Kanälen und zwei kanalisierten Bächen in Berlin. In allen untersuchten Oberflächengewässern wurde Nikotin in Konzentrationen zwischen 7 und 1.500 Nanogramm pro Liter nachgewiesen. Der Mittelwert lag bei 73 Nanogramm pro Liter.
Hauptfaktor ist der Regen, der das Nikotin aus weggeworfenen Kippen auswäscht
Zigarettenkippen sind hierzulande die Hauptquelle für Nikotin in der Umwelt, seit die Anwendung als Insektizid in der EU in den 1980er Jahren verboten wurde. Laut einer Studie aus dem Jahr 2022 werden zwischen 76 und 90 Prozent aller gerauchten Zigaretten unsachgemäß in der Umwelt entsorgt, was sie zum Hauptmüll in Städten macht. Und eine Kippe enthält noch rund 2 Milligramm Nikotin. Im Freien weggeworfene Zigarettenstummel gelangen nur zu einem geringen Anteil direkt in die Gewässer. „Die Hauptquelle für Nikotin ist tatsächlich der Niederschlag beziehungsweise Einleitungen aus der Kanalisation“, sagt IGB-Forscher Dr. Markus Venohr, Leiter der Studie. Nikotin ist nämlich gut wasserlöslich: Bereits nach etwa 30 Minuten ist etwa die Hälfte des Nikotins durch Regenwasser ausgewaschen.
Nach Starkregen sind die Konzentrationen in Kanälen bis zu 16-mal höher
Die Studie zeigt, dass die Nikotinkonzentration je nach Gewässertyp variiert. Am höchsten war sie in Kanälen, gefolgt von Teichen, Flüssen, Seen und kanalisierten Bächen. Dabei haben die Einträge über den Regenwasserabfluss von Oberflächen sowie die Zuleitung von Regenwasser über die Kanalisation den größten Einfluss: In Oberflächengewässern mit Regenwassereinleitungen aus der Trennkanalisation sowie mit Mischwasserkanalisationsüberläufen waren die mittleren Nikotinkonzentrationen etwa doppelt so hoch wie in Gewässern ohne solche Zuläufe. Nach starken Regenfällen stiegen die Nikotinkonzentrationen deutlich an, insbesondere in Kanälen, wo sie bis zu 16-mal höher waren. „Dieser starke Anstieg nach Starkregen entsteht wahrscheinlich durch sogenannte First-Flush-Ereignisse: Die Zigarettenkippen akkumulieren sich bei Trockenheit und werden dann bei einsetzendem Regen alle gleichzeitig ausgewaschen“, erklärt Markus Venohr.
Zur Erläuterung: Die Trennkanalisation umfasst nur Regenwasser in der Mischkanalisation befindet sich hingegen eine Mischung aus Regenwasser und häuslichen Abwässern. Wenn die Reinigungskapazität der Kläranlagen durch das Regenwasser überschritten wird, werden zusätzliche Speicher gefüllt. Wird das Speichervolumen weiter überschritten, wird das überschüssige Abwassergemisch bei sogenannten Mischwasserüberläufen direkt in Oberflächengewässer wie Spree, Havel und Teltowkanal eingeleitet.
Die Krumme Lanke: Sonderfall am Berliner Stadtrand
Die Studie zeigt außerdem, dass die Nikotinkonzentration in Gewässern mit Anschluss an die Kanalisation bei Regen mit der Bevölkerungsdichte ansteigt. In Oberflächengewässern ohne Anschluss an die Kanalisation korrelierten die Konzentrationen dagegen eher mit dem Einfluss von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel oder Naherholungsgebieten. Die Forschenden fanden im Innenstadtbereich höhere Konzentrationen – mit einer Ausnahme: die Krumme Lanke in Zehlendorf. Sie wird im Sommer intensiv als Naherholungsgebiet genutzt und ist daher wahrscheinlich höher belastet.
Die gemessenen Nikotinkonzentrationen sind für die meisten Organismen unbedenklich, bei Starkregen ist jedoch Vorsicht geboten
Die gemessenen Nikotinkonzentrationen in Berliner Oberflächengewässern lagen je nach zitierter Studie teilweise über den „Konzentrationen ohne negativen Effekt“ (PNEC: Predicted No Effect Concentration) für aquatische Organismen. Sie erreichten jedoch keine tödlichen Werte. So wird für zehn verschiedene Süßwasserfischarten eine letale Dosis zwischen 2.210 und 8.450 Nanogramm pro Liter bei einwöchiger Exposition genannt. Für Kleinstorganismen wie Wasserflöhe liegt der PNEC-Wert jedoch bereits bei 100 Nanogramm pro Liter.
„Um die toxikologische Relevanz der beobachteten Konzentrationen zu bewerten, müsste man die mittleren Konzentrationen in Oberflächengewässern beispielsweise während der Sommermonate kennen. Unsere Studie war nur eine Momentaufnahme“, sagt Markus Venohr. Die Analyse von Gewässern in anderen Städten ergab mitunter erheblich höhere Messwerte für Nikotin. So wurde beispielsweise in einer Studie in Madrid ein Durchschnittswert von 527 Nanogramm pro Liter gemessen. Der Forscher gibt allerdings keine Entwarnung: „Angesichts der allgemein abnehmenden Wasserführung von Gewässern und der Zunahme von einzelnen Starkregenereignissen kann die Nikotinbelastung von innerstädtischen Gewässern auch in Berlin zu einem Problem werden. Zudem wird aus Zigarettenkippen ein ganzer Cocktail potenziell schädlicher Stoffe ausgewaschen, die einzeln oder alle zusammen weit größere ökologische Auswirkungen haben können.“