Pressemitteilung
Nadja Neumann

Der Nord-Aralsee hat wieder Sauerstoff

Der physikalische Zustand des Sees ist ähnlich wie vor der Austrocknung
Aufgrund von Missmanagement seit den 1960-er Jahren ist der Aralsee zunehmend versalzen und schließlich zu fast 90 Prozent ausgetrocknet. Um Teile des Sees zu retten, wurde ein Damm gebaut. Dank dieser Maßnahme hat der nördliche Aralsee einen ähnlichen Zustand erreicht wie vor seiner Austrocknung; Eine Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zur physikalischen Beschaffenheit des Sees zeigt eine kontinuierliche Durchmischung der Wasserschichten, welche die oberen Schichten mit Nährstoffen und den Gewässergrund mit Sauerstoff versorgt. Doch schon kleine Veränderungen des Wasserstandes oder der Wassertransparenz, zum Beispiel durch Algen, können den See aus dem Gleichgewicht bringen.

Der Aralsee: halb See, halb Wüste. Der Nord-Aralsee hat wieder den Zustand vor der Austrocknung erreicht. | Foto: Georgiy Kirilin

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war der Aralsee der viertgrößte See der Welt. Aufgrund der Umleitung seiner Zuflüsse Amudarya und Syrdarya während der Sowjetära begann er in den 1960-er Jahren zu schrumpfen. Heute sind 90 Prozent des Sees ausgetrocknet, so dass die Wüste Aralkum entstanden ist. Um den Aralsee zu retten, wurde 2005 der Kokaral-Damm gebaut, der den nördlichen und den südlichen Teil des Sees voneinander trennt. „Unsere Studie dokumentiert den Prozess der Wiederherstellung des nördlichen Aralsees auf physikalischer Ebene. Die Zunahme des Wasservolumens und die Verringerung des Salzgehalts haben den Sauerstoffgehalt im gesamten See deutlich verbessert. Die unmittelbaren positiven Auswirkungen auf die Artenvielfalt von Mikroorganismen und Fischgemeinschaften wurden bereits in anderen Studien eindeutig nachgewiesen", sagt IGB-Forscher Georgiy Kirillin, der die Studie geleitet hat.

Der Salzgehalt sinkt deutlich und der See durchmischt sich wieder

Durch den Damm stabilisierte sich das Volumen des Nord-Aralsees bei etwa 27,5 Kubikkilometern. Seine Fläche wuchs von 2.800 Quadratkilometern im Jahr 2006 auf 3.400 Quadratkilometer im Jahr 2020. Der Salzgehalt sank von 18 Gramm im Jahr 2002 auf 10 Gramm pro Kilogramm im Jahr 2014 – was in etwa dem natürlichen Salzgehalt des Aralsees vor seiner Austrocknung entspricht. 

Das Forschungsteam analysierte die Durchmischung des Sees, Temperaturtrends und den Transport von Nährstoffen und Sauerstoff in der Wassersäule anhand von Daten aus Expeditionen zwischen 2016 und 2019 sowie einer einjährigen kontinuierlichen Überwachung des Wärme- und Sauerstoffhaushalts durch eine autonome Messstation. Das saisonale Durchmischungsregime ist ein grundlegendes Merkmal von Seen, das die Verteilung von Nährstoffen, Sauerstoff und Organismen in der Wassersäule steuert und das ökologische Gleichgewicht und den allgemeinen Gesundheitszustand eines Sees bestimmt. 

Austausch von Sauerstoff und Nährstoffen wiederhergestellt

Die Studie zeigt, dass sich im Sommer nur eine schwache Temperaturschichtung im tieferen Teil des Nordaralsees bildet, was etwa sieben Prozent des Seevolumens betrifft. Eine solche sommerliche Schichtung kann den Austausch von Sauerstoff und Nährstoffen am Boden des Sees verringern. Aufgrund starker interner Wellen ist der See jedoch gut durchmischt, so dass der größte Teil der Wassersäule das ganze Jahr über gut mit Sauerstoff gesättigt bleibt und ein Nährstoffaustausch zwischen der Wassersäule und dem Sediment stattfinden kann.

Die Folgen einer mangelnden Durchmischung zeigen sich im südlichen Teil des Aralsees

Die weitreichenden Folgen einer gestörten saisonalen Durchmischung für die Gesundheit und die Artenvielfalt von Seen zeigen sich am Schicksal des südlichen Aralsees, der nicht saniert wurde. Aufgrund des hohen Salzgehalts ist die saisonale Durchmischung in großen Teilen des südlichen Aralsees vollständig aufgehoben und das Tiefenwasser permanent geschichtet. Infolgedessen sind diese Teile völlig sauerstofffrei und haben eine sehr geringe Artenvielfalt. Im Tiefenwasser und am Gewässergrund entsteht zudem viel Methan und Schwefelwasserstoff.

Fragiler Zustand: Wasserentnahmen und Klimawandel könnten den Erfolg schmälern

Obwohl der nördliche Aralsee im Allgemeinen zu einem gut durchmischten Zustand zurückgekehrt ist, zeigen die Modellstudien des Forschungsteams, dass das Durchmischungsverhalten aus dem Gleichgewicht geraten kann: Geringfügige Veränderungen des Wasserstandes oder der Wassertransparenz – beispielsweise aufgrund von Algenwachstum durch erhöhten Nährstoffeintrag aus dem Einzugsgebiet – können die Schichtungsdauer im Aralsee verlängern. „Vor dem Hintergrund des Klimawandels birgt der erhöhte Wasserverbrauch im Einzugsgebiet das Risiko einer abrupten Verschlechterung des Zustands des Sees", sagt Georgiy Kirillin. 

Ein gutes Beispiel für die Wiederherstellung anderer austrocknender Seen

Viele Seen auf der ganzen Welt ähneln dem Aralsee, da sie aufgrund der menschlichen Wasserentnahme und des Klimawandels Wasser verlieren. Einige von ihnen werden auf ähnliche Weise wiederhergestellt: Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Vorschlag, Wasser aus dem Kongo-Becken in den Tschadsee zu leiten. Dieser ist seit den 1960er Jahren aufgrund der übermäßigen Nutzung von Wasser für Bewässerungszwecke und der Auswirkungen des Klimawandels um bis zu 90 Prozent geschrumpft. Ein weiteres Beispiel ist das Projekt zur Erhaltung des Toten Meeres, das den Bau eines Kanals vom Roten Meer zum Toten Meer vorsieht, um den Wasserstand zu stabilisieren.

Solche Megaprojekte haben jedoch vielfältige und kaum vorhersehbare Folgen für die Ökosysteme der Seen und für den regionalen Wasserhaushalt. In dieser Hinsicht sind die Ergebnisse des Projekts zur Wiederherstellung des Aralsees für zukünftige Projekte besonders aufschlussreich, da sie als Beispiel für ein erfolgreiches, groß angelegtes Experiment mit vielfältigen Folgen für den See und seine Umgebung dienen.

 

Zum allgemeinen Prinzip der Seenschichtung: 
 Seen in gemäßigten klimatischen Zonen unterliegen starken saisonalen Zyklen, die grundlegend durch die physikalischen Eigenschaften des Wassers gesteuert werden: Im Sommer schichtet sich von der Sonne erwärmtes Oberflächenwasser über dem dauerhaft kalten Tiefenwasser ein. Das liegt an den temperaturbedingten, großen Dichteunterschieden des Wassers. Bei 4 °C hat es seine größte Dichte und sinkt somit in die Tiefe. Wärmeres Wasser bleibt an der Oberfläche. Im Herbst, wenn sich die Temperatur durch Abkühlung an der Oberfläche im ganzen See angleicht, reicht die durch den Wind eingetragene Energie, um die oberen und unteren Wassermassen vollständig zu vermischen. Sauerstoff und Nährstoffe werden gleichmäßig im gesamten Wasserkörper verteilt. Somit stehen sie während der Schichtungsphase im nächsten Sommer wieder für die Produktion und den Abbau von Biomasse zur Verfügung.

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