Fokus
Nadja Neumann

Wasser als Waffe

Ein Kommentar zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine
Am 2. März 2023 warnte ein internationales Team von Forscher*innen vor den Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Süßwasserressourcen, Wasserinfrastruktur und die Umwelt in der Ukraine. Mit der Zerstörung des Kachowka-Staudamms am 6. Juni 2023 ist nun das schlimmste befürchtete Szenario eingetreten. Dr. Oleksandra Shumilova vom IGB und Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, weisen in einer gemeinsamen Erklärung auf die gravierenden Folgen dieser ökologischen Katastrophe hin.

Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms ist für Mensch und Natur eine Katastrophe. | Photo: Alina Semenenko

Wasser wird in kriegerischen Auseinandersetzungen mehr und mehr als Waffe eingesetzt, was im Besonderen für den Angriffskrieg in der Ukraine gilt. Die Sprengung des Damms eines der größten Stauseen Europas ist hinsichtlich ihrer Dimension ohnegleichen und in ihren Auswirkungen verheerend. 

Die Ostukraine ist eine der stärksten industrialisierten Regionen weltweit, mit einer umfangreichen und komplexen Wasserinfrastruktur. Dazu zählen Bewässerungsanlagen, Trinkwasserleitungen, Abwassersysteme und Pumpanlagen. Sie wurden seit Ausbruch des Krieges, teilweise bereits seit 2014, systematisch und großflächig beschädigt oder völlig zerstört. 

Die Verschmutzung durch Öl ist an sich schon dramatisch genug. Doch es kommt noch schlimmer: Freigesetzte Ölprodukte werden nicht einfach verdünnt und versickern, sondern sie werden von Lebewesen wie Pflanzen und Tieren aufgenommen. Da die betroffene Landschaft nahezu eben ist und sich das Wasser weit ausbreiten kann, entsteht ein riesiger Ölfilm. Darüber hinaus gelangen seit Kriegsbeginn Abwässer ungeklärt in die Flüsse, Schadstoffe und radionukleare Substanzen, die sich etwa nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 angereichert haben, werden aus den Sedimenten freigesetzt, durch Munition, Kriegsgeräte und zerstörte Industrieanlagen kontaminierte Gebiete werden überflutet und die stillgelegten Bergbaugebiete geflutet. So dienen die Bewässerungskanäle als Müllhalden für Kriegsgeräte und Munitionsabfälle.  

Dieser Cocktail an Giftstoffen wird die Gewässer und das Grundwasser noch jahrzehntelang massiv belasten. Die Schadstoffe lagern sich zudem in den Böden und Sedimenten ab und reichern sich über die Nahrungskette an.      

Um das Ausmaß der Zerstörungen und deren Konsequenzen verlässlich abschätzen zu können, fehlen uns jedoch überprüfbare Daten und Informationen. Dennoch sind bereits jetzt dramatische Folgen für die Artenvielfalt und Naturschutzgebiete erkennbar. Während flussaufwärts des Staudamms weite Bereiche austrocknen und ein Massensterben von Fischen und anderen Wasserorganismen zur Folge hat, kommt es flussabwärts zu großflächigen Überschwemmungen, wodurch wertvolle Ökosysteme von nationaler und internationaler Bedeutung zerstört werden. Das Dnjepr-Delta ist reich an Inseln, Auwäldern und Schilfgebieten – ein Hotspot der Artenvielfalt. Über 100 der dort heimischen Pflanzen- und Tierarten stehen auf verschiedenen Roten Listen. Insgesamt sind wohl 160.000 Vögel und mehr als 20.000 andere Wildtiere durch die Zerstörung des Wasserkraftwerks akut bedroht. 

Als sicher gilt, dass die Folgen noch Jahrzehnte zu spüren sein könnten, mit massiven Beeinträchtigungen für die Umwelt – einschließlich der Küstenbereiche des Schwarzen Meeres – und die Versorgung von Millionen von Menschen mit sauberem Trinkwasser sowie Wasser für Land- und Fischereiwirtschaft. Und nicht zuletzt stellt die Situation eine Gefahr für die globale nukleare Sicherheit dar. 

Die mutwillige Zerstörung ziviler Infrastrukturen widerspricht der Genfer Konvention. Wir müssen daher alles tun, um noch größere Schäden abzuwenden und die vorhandenen Schäden rasch zu beheben. Das wird eine Mammutaufgabe für die Ukraine und die internationale Gemeinschaft!   

Dr. Oleksandra Shumilova und Prof. Dr. Klement Tockner

 

Hier finden Sie die Pressemitteilung vom 2. März 2023, in der ein internationales Team von Forscher*innen vor den Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Süßwasserressourcen, Wasserinfrastruktur und die Umwelt in der Ukraine gewarnt hat.

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