
Einiges ist zeitlos an der ökologischen Forschung. Neue Ansätze helfen jedoch dabei, zunehmende Herausforderungen zu meistern. Das Foto von 1959 zeigt das ZIMET-Neuglobsow, Labor für Mikrobiologie. | Foto: IGB
Die Suche nach verallgemeinerbaren Mechanismen und Prinzipien in der Ökologie erfordert einen kontinuierlichen Prozess aus Experimenten, Beobachtungen und Theoriebildung. Dies ist insbesondere notwendig, um die Vielfalt und Komplexität der Beziehungen zwischen Organismus und Umwelt abzubilden. „Eine große Herausforderung für die moderne Ökologie ist es, aus den Experimenten Vorhersagen abzuleiten – insbesondere angesichts vielfältiger Stressoren“, sagt Dr. Lynn Govaert, IGB-Forscherin und Leiterin der Studie.
Die Wissenschaftler*innen adressieren in ihrer Veröffentlichung fünf zentrale Herausforderungen, die experimentelle Forscher*innen bewältigen müssen, um das Verständnis ökologischer Reaktionen auf künftige Umweltveränderungen zu verbessern: (1) Untersuchung mehrdimensionaler ökologischer Dynamiken; (2) Erweiterung der verwendeten Modellorganismen und Anerkennung der Auswirkungen intraspezifischer Vielfalt; (3) Verständnis der Auswirkungen von Umweltvariabilität; (4) Überwindung von Barrieren; und (5) effektive Nutzung von Technologien.
Mehrdimensionale Ökologie: Multiple Stressoren untersuchen und trotzdem „kombinatorische Explosion“ vermeiden
In der Vergangenheit haben sich experimentelle Studien darauf konzentriert, die Auswirkungen einzelner Stressoren auf einzelne Individuen, einzelne Populationen oder auf begrenzten räumlichen und zeitlichen Ebenen zu testen. Zunehmend wird jedoch der Bedarf an multifaktoriellen ökologischen Experimenten erkannt. Eine nicht triviale Aufgabe, denn im Kern geht es darum, die „kombinatorische Explosion“ der Behandlungsstufen zu überwinden. „Die kombinatorische Explosion bezieht sich auf die Tatsache, dass die Anzahl der Kombinationen mit jeder zusätzlichen Versuchsbehandlung exponentiell ansteigt. Es gibt einige Lösungsvorschläge, um damit umzugehen. Wenn beispielsweise zwei primäre Stressoren identifiziert werden können, ist die Verwendung von Reaktionsflächen ein vielversprechender Ansatz. Diese Flächen bauen auf den klassischen eindimensionalen Reaktionskurven auf“, erläutert Lynn Govaert.
Modellorganismen: Pro und Contra
Die Arbeit mit Modellarten hat den Vorteil, dass man auf gut entwickelte und robuste experimentelle Methoden zurückgreifen und die Auswirkungen der genetischen Vielfalt innerhalb von Populationen leichter untersuchen kann. Dennoch können Modellarten ein schlechter Ersatz für natürliche Gemeinschaften sein und verschleiern, wie die Vielfalt der Gemeinschaften auf verschiedenen Ebenen die ökologischen Auswirkungen des globalen Wandels beeinflusst. „Wir sind nicht die ersten, die darauf hinweisen, dass ein erweiterter Satz von Modellorganismen erforderlich ist. In aquatischen Systemen bieten Nicht-Modellorganismen wie Kieselalgen, Wimpertierchen, Anemonen, Axolotl und Killifische Möglichkeiten zur Untersuchung wichtiger biologischer Fragen“, sagt Lynn Govaert.
Natürliche Umweltschwankungen in Experimente einbeziehen
In Experimenten werden die natürlichen Umweltschwankungen häufig nicht berücksichtigt und man greift stattdessen beispielsweise auf einen Durchschnittswert zurück. „Es gibt offensichtliche technische und organisatorische Hürden, warum die Umweltvariabilität kein üblicher Aspekt von Laborexperimenten ist, aber es gibt immer mehr kosteneffektive Ansätze, insbesondere für Faktoren wie die Temperatur. Da sich immer mehr experimentelle Ökolog*innen mit den Auswirkungen der Umweltvariabilität befassen, möchten wir sie ermutigen, explizit das Ausmaß und die Häufigkeit von Fluktuationen sowie die Vorhersagbarkeit von Variationen zu berücksichtigen, um die mechanistische Grundlage für die Auswirkungen der Variabilität auf die ökologische Dynamik wirklich zu ergründen“, so Lynn Govaert.
Überwindung von Barrieren
Unter diesem Aspekt meinen die Autor*innen tatsächlich alle Facetten von Barrieren: Künstliche Trennungen der Fachdisziplinen, der Forschungsgegenstände, aber auch zwischen den Mitwirkenden bei experimenteller Forschung. Lynn Govaert sagt dazu: „Wir limitieren unsere Forschung wenn wir die Breite der Perspektiven einschränken. Netzwerke für ökologische Experimente und Ausbildungsprogramme haben das Potenzial, Forschende zusammenzubringen, den Wissenstransfer und die Erweiterung der wissenschaftlichen Infrastruktur zu ermöglichen und ganzheitliche Ansätze zur Bewältigung der ökologischen Folgen von Umweltveränderungen zu fördern.“
Technologie als Heilsbringer?
Die Autor*innen stellen eine Reihe neuer Technologien vor, darunter „-Omics“, die automatische Generierung und Analyse von Daten und die Fernerkundung. Sie erörtern die tiefgreifenden Auswirkungen, die diese Technologien auf die Forschung haben. „Der technologische Fortschritt kann zwar den Umfang, das Ausmaß und die Tiefe der aus den Daten gewonnenen Erkenntnisse erhöhen. Wir betonen jedoch, dass diese Fortschritte auf experimenteller Arbeit basieren müssen. Es gibt keinen Ersatz für eine gut durchdachte Hypothese und einen geeigneten Versuchsplan. Diese Elemente sollten auch nach wie vor ein grundlegender Bestandteil der Ausbildung von Ökolog*innen sein“, sagt Lynn Govaert.
Dies sind nur einige von vielen möglichen Ansätzen, um auf dem Erbe der experimentellen Ökologie aufzubauen – andere experimentelle Ökolog*innen werden zweifellos ihre eigenen Ideen über den besten Weg nach vorne haben. Die Autor*innen hoffen, dass diese Perspektive zum Nachdenken angeregt hat, welche Aspekte am besten in die experimentelle Arbeit einbezogen werden können, um Vorhersagen über die Reaktion aquatischer Systeme auf den globalen Wandel zu verbessern.