Pressemitteilung
Nadja Neumann

Auseinandersetzung mit einem Tabuthema: Bringen uns Jagen und Fischen der Natur näher?

Wer Fisch, Wurst oder Fleisch kauft und das Tier nicht selbst erlegt, erspart sich das Töten von Tieren und vielleicht auch einen gesellschaftlichen Tabubruch: Jagd und Fischerei stehen in vielen Industrieländern in der Kritik, vor allem wenn sie als Freizeitbeschäftigung ausgeübt werden. Ein Forschungsteam aus den Natur- und Sozialwissenschaften sowie der Umweltphilosophie, darunter Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), erweitert in einem Perspektivenartikel in Nature Sustainability die Kontroverse „Freizeitnutzung von Wildtieren“ um eine neue Sichtweise: Durch eine emotional intensive Interaktion zwischen Jäger*in oder Angler*in und dem Wildtier kann ein Verantwortungsbewusstsein, ein sogenanntes „Environmental Stewardship“, entstehen, so die Hypothese. Und das wiederum könne ein Anreiz sein, sich ein Leben lang für Umwelt- und Tierschutz zu engagieren. Das Forschungsteam grenzt diese intensive Naturerfahrung von eher oberflächlichen Erlebnissen ab, die mitunter nicht zum Umwelt-Stewardship führen.

Angeln als Freizeitbeschäftigung. | Foto: Florian Möller, AVN

Die Forschenden beleuchten die psychologischen und emotionalen Aspekte der Jagd und Fischerei in der Freizeit. Sie legen dar, wie diese beiden Aktivitäten eine besondere Einbindung in die Natur und Verbundenheit mit der Natur bewirken können. „Die starken Emotionen, die Jagen und Angeln auslösen, und die Unterstützung durch Gleichgesinnte können Charaktereigenschaften formen, die ein Leben lang anhalten und dazu führen, dass man sich für die Erhaltung von Tieren und der Natur im Allgemeinen einsetzt", sagt Charles List, emeritierter Professor für Philosophie an der SUNY Plattsburgh Universität, New York, USA und Mitautor der Studie.

„Jagen und Angeln erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit natürlichen Prozessen, Ökosystemen, dem Lebewesen und den Jahres- und Tageszyklen. Durch die Erfahrung des Aufspürens, Fangens, Tötens und Verarbeitens von Wildtieren werden Jäger*innen und Angler*innen außerdem Teil des Nahrungsnetzes. Durch diese enge psychosoziale Einbindung in die Natur kann ein starkes Verantwortungsgefühl entstehen, sich für den Schutz von Wildtieren und Fischen einzusetzen, was wir als Stewardship bezeichnen“, ergänzt Prof. Robert Arlinghaus, Nachhaltigkeitsforscher und Fischereiprofessor am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und an der Humboldt-Universität zu Berlin. 

Oberflächliche Interaktionen führen zur Auslagerung der Verantwortung für die Tiere 

Es gibt jedoch auch Praktiken, die eher eine kurzfristige Intervention darstellen. Dies fördere mitunter nicht das Verantwortungsbewusstsein der jagenden oder angelnden Personen für den Natur- und Artenschutz. „Es gibt Beispiele dafür, dass Jagd- und Angelerlebnisse von Marktlogiken dominiert werden, etwa in Put-and-Take-Angelteichen oder bei touristischen Jagderlebnissen auf speziell gezüchtete Wildtiere, die in überschaubaren Gehegen freigelassen werden. Diese Praktiken führen zu oberflächlichen Naturerlebnissen. Sie sind darauf ausgerichtet, den Wunsch nach schneller Belohnung zu befriedigen. Eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Wirkung auf die Natur findet hier nicht statt“, erklärt Erstautor Dr. Sam Shephard von der Ave Maria Universität in Florida. 

Entscheidend sei, was die Praktik beim Menschen psycho-emotional auslöst und wie emotional involviert und reflektiert der jagende oder fischende Mensch ist. Angeln nach dem Prinzip des Fangen-und-wieder-Freilassens könne zum Beispiel das Verantwortungsgefühl für die Fische stärken, wenn ein Fisch aus Respekt vor der Kreatur und mit Blick für den Populationsschutz zurückgesetzt wird. Fangen und Freilassen könne aber auch ein Paradebeispiel für die oben angesprochene Ökonomisierung sein, wenn das Zurücksetzen aus rein wirtschaftlichen Erwägungen unreflektiert betrieben wird, beispielsweise um die Attraktivität eines kommerziell betriebenen Angelgebiets zu erhalten. Ähnliches gelte für bestimmte Formen der Jagd. 

„Stewardship entsteht, wenn man sich der Konsequenzen des eigenen Handelns bewusst wird und daraus Schlussfolgerungen zieht, die zu einem nachhaltigen Umgang mit Tierpopulationen führen. Dazu gehört auch die vielfach praktizierte Möglichkeit, sich bei der Entnahme von Wildtieren selbst zu beschränken“, erklärt die Professorin Erica von Essen vom schwedischen Stockholm Resilience Centre. Diese Selbstbeschränkungen entwickeln sich unabhängig von Entnahmebestimmungen. Beispielsweise protestieren Jäger in Schweden derzeit gegen die als zu liberal empfundenen Abschussquoten für Elche und erlegen deutlich weniger Tiere als offiziell möglich. 

Auf Managementaufgabe reduziert: Emotionaler Zugang zum Töten gesellschaftlich tabuisiert

Wenn Tiere entnommen werden, um sie als Schädlinge oder invasive Arten zu bekämpfen, würden Jagd und Fischerei auf den Akt des Tötens reduziert. Die Tiere würden dann als aggregierte Biomasse betrachtet, die zweckgebunden beseitigt werden muss.

„Die Reduktion des Tötens auf eine Managementaufgabe fördert vor allem den rationalen, nicht aber den emotionalen Zugang zu Natur und Wildtieren. Um Kritik zu vermeiden, nehmen Jäger*innen und Angler*innen in Industrieländern häufig die Rolle der rationalen Wildtiermanagerin oder des Gewässerhegers ein und distanzieren sich von den eher emotionalen oder kulturellen Dimensionen ihrer Tätigkeit, weil diese gesellschaftlich zunehmend tabuisiert werden“, sagt der Anthropologe Dr. Thorsten Gieser von der Akademie der Wissenschaften in Prag. 

Das hat nach Sicht des Autorenteams zur Folge, dass manche Traditionen, mit denen früher die Beute geehrt wurde, heute wegen mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz aufgegeben oder nur noch sehr diskret ausgeübt werden. „Es ist wichtig, die verschiedenen Jagd- und Fischereimethoden differenziert zu betrachten. Eine wichtige Grundlage dafür ist, das Töten von Wildtieren im Rahmen der Freizeitfischerei und der Jagd aus der gesellschaftlichen Tabuzone zu holen, da hier intensive emotionale Bindungen und Erfahrungen über die Folgen des eigenen Handelns entstehen können, die zu umweltgerechtem Verhalten und zur Unterstützung von Artenschutzmaßnahmen führen können", so Robert Arlinghaus abschließend.

 

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Robert Arlinghaus

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Integratives Angelfischereimanagement