Pressemitteilung
Angelina Tittmann

Ein Fluss, eine Hoffnung

100 junge Störe sollen in der Elbe eine neue Heimat finden
Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) setzen am 10. Oktober in Geesthacht junge Europäische Störe in der Elbe aus. Der dort ausgestorbene und streng geschützte Wanderfisch gilt als Schirmart: Wo seine anspruchsvolle Lebensweise möglich ist, profitieren auch viele andere flusstypische Tier- und Pflanzenarten. Ziel der seit 2008 laufenden Wiederansiedlungsbemühungen ist es, einen sich selbst erhaltenden Bestand in der Elbe aufzubauen – einst Heimat des historisch bedeutendsten Stör-Vorkommens in Europa. Der Besatz findet am Rande eines Arbeitstreffens der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) in Geesthacht statt. Vertreterinnen und Vertreter aus Deutschland und Tschechien beraten dort über Maßnahmen zum Schutz der Wanderfische und die nachhaltige Entwicklung des Flusses.
Ein junger Europäischer Stör wird in zwei Händen gehalten

Ein junger Europäischer Stör kurz vor dem Besatz in die Elbe. | © Sascha Hilgers/BMUV

Der Europäische Stör (Acipenser sturio) ist ein imposanter Wanderfisch. Er vermehrt sich in den Unter- und Mittelläufen der großen Flüsse Westeuropas, verbringt den Großteil seines Lebens in der Nordsee und kehrt nur zum Laichen wieder in seinen Heimatfluss zurück. Diese Wanderungen machen ihn besonders anfällig für Veränderungen in Flüssen und Küstengewässern. Die ursprüngliche Population in der Elbe ist vollständig verschwunden: Das letzte Tier wurde 1985 gefangen; seit 1964 wurde keine natürliche Vermehrung mehr in Deutschland nachgewiesen. Daher führt die Rote Liste den Europäischen Stör heute als ausgestorben.

Französische Nachzuchten für die Elbe

Um den Stör zurückzubringen, arbeitet das IGB eng mit dem französischen Forschungsinstitut INRAe zusammen. Gemeinsamer Ausgangspunkt des Wiederansiedlungsprogramms waren Nachzuchten der letzten noch existierenden Störpopulation in Frankreich, von denen seit 2008 insgesamt 20.000 Tiere in die Elbe eingesetzt wurden.  

Jörn Gessner vor einem Störbecken am IGB

© David Ausserhofer/IGB

„Wenn es dieser Schirmart wieder gelingt, in der Elbe heimisch zu werden, profitieren auch viele andere Arten – und letztlich wir Menschen, die an und von der Elbe leben.“

Dr. Jörn Geßner

Ob in Gefangenschaft oder in der Natur: Der Aufbau eines laichreifen Bestands erfordert Geduld.  Erst mit etwa 15 Jahren werden die Tiere geschlechtsreif. So alt sind die besetzten Störe auch, wenn sie zum ersten Mal in die Elbe zurückkehren. Doch genügt diese lange Zeitspanne, um die Lebensbedingungen im Fluss deutlich zu verbessern? „Das ist leider ungewiss“, sagt IGB-Forscher Dr. Jörn Geßner, der das Wiederansiedlungsprogramm seit drei Jahrzehnten koordiniert, „denn trotz intensiver Bemühungen stehen wir vor großen Herausforderungen.“ Dies belegen auch die 21 Rückkehrer, die seit 2020 in der Elbe nachgewiesen wurden. Mehr als zwei Drittel dieser Tiere wurden tot gefunden und starben demnach, bevor sie sich fortpflanzen konnten.

Die größten Gefahren für die Rückkehr des Störs sind:

  • Wasserqualität: Sauerstofflöcher als Folge des Ausbaus und hoher Nährstofffrachten, insbesondere im Sommer unterhalb des Hamburger Hafens, führen zum Erstickungstod wandernder Tiere.
  • Hydromorphologie: Die veränderte Flussstruktur und mangelnde Durchgängigkeit erschweren oder verhindern die Wanderungen. Die Elbe bietet abschnittsweise noch geeignete Lebensräume. Nebenflüsse wie die Saale und die Havel sind dagegen für Störe heute nicht mehr erreichbar; viele ihrer früher genutzten Lebensräume wurden im Zuge des Ausbaus der Flüsse für die Schifffahrt und die Regulierung für die Landwirtschaft zerstört.
  • Schifffahrt und Fischerei: Verletzungen durch Schifffahrt (Schraubenschlag), Saugbagger, aber auch der ungeplante Beifang in der Fischerei sind direkte Einflussfaktoren auf die Sterblichkeit der Tiere.
  • Klimawandel: Verschobene Niederschlagsmuster, Extremwetter und steigende Temperaturen entkoppeln die Fortpflanzungszyklen von den jahreszeitlichen Signalen. So ist es im  Mittelmeerraum, der früher zum Verbreitungsgebiet gehörte, heute bereits zu warm und zu trocken für den Stör. 

Ein Symbol für eine gesunde Elbe?

Sowohl das Wiederansiedlungsprogramm als auch die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) und die Flussgebietsgemeinschaft verfolgen daher das Ziel, den Fluss ökologisch aufzuwerten, Lebensräume wiederherzustellen und die Durchgängigkeit der Elbe zu verbessern, um die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen.

„Der Besatz ist ein Symbol für die Chancen, die sich aus einer gesunden Elbe ergeben. Der Stör zeigt uns: Wenn es dieser Schirmart wieder gelingt, in der Elbe heimisch zu werden, profitieren auch viele andere Arten – und letztlich wir Menschen, die an und von der Elbe leben“, betont Jörn Geßner.

Regelmäßige Besatzaktionen sind daher neben den Anstrengungen für einen gesünderen Fluss wichtige Schritte auf dem Weg zur Rückkehr des Störs. Langfristig soll er wieder zu einem festen Bestandteil des Arteninventars des Elbesystems werden – und als Symbol für eine nachhaltige Wiederherstellung der Flusslandschaft dienen, die weit über den Schutz einer einzelnen Art und über Ländergrenzen hinausreicht.

Der Europäische Stör: 

  • Wissenschaftlicher Name: Acipenser sturio
  • Status: vom Aussterben bedroht (IUCN)
  • Lebensraum: Nordsee, Laichflüsse wie die Elbe
  • Lebensweise: Wanderfisch; verbringt den Großteil seines Lebens im Meer, kehrt zum Laichen in den Heimatfluss zurück
  • Größe: bis zu 5 Meter lang, Gewicht bis 200 kg
  • Alter bei Geschlechtsreife: rund 15 Jahre
  • Historie in der Elbe: letztes Tier der ursprünglichen Population 1985 gefangen; seit 1964 keine natürliche Vermehrung mehr nachgewiesen
  • Wiederansiedlungsprogramm: seit 2007 schrittweise Besatz von Nachzuchten einer französischen Population; Ziel: Aufbau einer sich selbst erhaltenden Population