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Mark Gessner

Zum Zustand des Stechlinsees

Der Stechlinsee ist als einer der größten und tiefsten Klarwasserseen Norddeutschlands bekannt. In den letzten zwanzig Jahren hat sich sein Zustand jedoch zunehmend schnell verschlechtert – das zeigen die Langzeitforschungen des IGB. Professor Mark Gessner analysiert die Veränderungen und möglichen Gründe dafür.

Der klare Schein trügt, die Wasserqualität des Stechlinsees hat sich in den letzten 20 Jahren erheblich verschlechtert. I Foto: Michael Feierabend

Viele Seen kränkeln an einem „menschengemachten“ Problem: Sie enthalten zu viele Nährstoffe, insbesondere Phosphor, der etwa durch Abwässer oder aus der Landwirtschaft in die Gewässer eingetragen wird. Verschiedene Beobachtungen weltweit zeigen allerdings in jüngster Zeit, dass selbst einige abgelegene, vom Menschen lokal unbeeinflusste Seen steigende Nährstoffkonzentrationen aufweisen, die ihre Produktivität ankurbeln. Das trifft auch für den Stechlin zu. Generationen kennen und schätzen ihn als glasklaren See, aber in den letzten Jahren beobachten wir dramatische Veränderungen.

Langzeitmessungen des IGB zeigen, dass der See heute eine viermal höhere Phosphatkonzentration im Frühjahr aufweist als noch vor zehn Jahren. Außerdem konnten wir einen stark zunehmenden Sauerstoffschwund im Wasser des Stechlinsees feststellen. Ausgehend vom Gewässergrund hat er sich von Jahr zu Jahr immer weiter nach oben ausgeweitet. Die durchschnittliche Sichttiefe liegt bei weniger als sechs Metern, vor 20 Jahren betrug sie noch neun Meter. 

Der Stechlin – gefangen in einem Teufelskreis?

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass sich der Stechlinsee in einem Teufelskreis befindet, in dem sich mehrere Faktoren wechselseitig verstärken. Der Gewässerzustand verschlechtert sich dadurch schnell. Höhere Phosphatkonzentrationen im See führen zu verstärktem Algenwachstum. Ein Teil der erhöhten Algenbiomasse sinkt in die Tiefe und lagert sich im Sediment ab, sodass sich dort Kohlenstoff und Phosphor anreichern. Beim Abbau dieser Algenbiomasse wird im Wasser gelöster Sauerstoff verbraucht und kann vor allem nahe des Gewässergrunds schnell vollständig aufgezehrt werden. Dieser Sauerstoffschwund verändert die chemischen Bedingungen an der Grenzschicht zwischen Sediment und Wasser. Dadurch wird Phosphat, das zuvor im Sediment gebunden war,  freigesetzt. So gelangen erhebliche Mengen zunächst in die sedimentnahen Wasserschichten. Bei der vollständigen Durchmischung des Wasserkörpers im nächsten Frühjahr wird der Nährstoff dann gleichmäßig im See verteilt, sodass Algen ihn in der nächsten Wachstumsperiode wieder nutzen können. Der Teufelskreis geht in die nächste Runde.

Die Langzeitdatenreihe des IGB zeigt, dass dieser Teufelskreis im Stechlinsee tatsächlich eine Rolle spielt. Dabei ist letztlich unerheblich, wie der Stein ins Rollen kam. Besonders seit 2016 lässt sich jeweils am Ende der Schichtungsperiode des Sees, bevor die herbstliche Volldurchmischung des Wasserkörpers einsetzt, ein dramatischer Sauerstoffschwund feststellen. Ausgehend vom Gewässergrund hat er sich von Jahr zu Jahr immer weiter nach oben ausgeweitet. Dies gilt sowohl für die mit 69,5 Meter tiefste Stelle in der Nordbucht, als auch für die flacheren Buchten im Westen und Süden. Damit einher geht auch die Rücklösung von Phosphat aus dem Sediment. Die Folge ist, dass der Stechlinsee heute eine viermal höhere Phosphatkonzentration im Frühjahr nach der Volldurchmischung aufweist als noch vor zehn Jahren. Damit erreicht er ein Niveau, das charakteristisch für nährstoffreiche Seen ist.

Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei der Gesamtmenge an Phosphor in der Wassersäule. Einfache Bilanzrechungen zeigen, dass diese zwischen den Jahren 2000 und 2010, als der See noch als nährstoffarm klassifiziert werden konnte, bei rund 2000 Kilogramm lag, während im Frühjahr 2020 dreimal so viel Phosphor im Wasservolumen des Stechlinsees enthalten war. Entsprechend hat auch die Algenbiomasse in den letzten 10 Jahren stark zugenommen. Dies wirkt sich negativ auf die Klarheit des Wassers aus und schlägt sich in einer abnehmenden Sichttiefe nieder. Lag sie vor 20 Jahren noch bei rund 9 Metern im Jahresmittel, beträgt sie heute im Mittel weniger als 6 Meter. In Perioden ausgeprägter Algenblüten wurden kurzfristig sogar weniger als 3 Meter gemessen.

Und die Gründe: Kraftwerksbetrieb oder Klimawandel?

So genau die Prozesse dokumentiert sind, die zum Nährstoffanstieg im Stechlinsee führen, so schwierig ist es, die definitive Ursache zu benennen. Ein massiver Eingriff war seinerzeit der künstlich betriebene Wasserkreislauf zur Kühlung des Kernkraftwerks Rheinsberg, bei dem täglich etwa 300 Millionen Liter Wasser aus dem benachbarten Nehmitzsee entnommen und um 10 Grad erwärmt in den Stechlinsee geleitet wurden. Die Nährstoffeinträge in das System waren damals deutlich höher als heute. Trotzdem war der Einfluss auf den Stechlinsee gering.

Ein möglicher Grund ist, dass während des Kraftwerksbetriebs dichte Bestände von Großmuscheln und Unterwasserpflanzen im Verbindungskanal zwischen Stechlin- und Nehmitzsee permanent als Nährstofffalle wirken konnten. Die Abschaltung des Kühlkreislauf 1989 unterbrach auch den Wasserstrom im Verbindungskanal zwischen den beiden Seen, sodass der Nährstoffentzug durch Muschel und Pflanzenbestände nicht mehr wirksam werden konnte. 

Eine andere mögliche Ursache hängt mit dem Klimawandel zusammen. Dafür spricht auch das Phänomen, dass einige weit abgelegene, vom Menschen lokal unbeeinflusste Seen weltweit ähnliche Tendenzen wie der Stechlinsee zeigen. Entscheidend dafür ist das veränderte Schichtungs- und Durchmischungsverhalten des Sees: Die im Zuge des Klimawandels steigenden Wassertemperaturen führen dazu, dass die sommerliche Schichtung, die warmes Oberflächenwasser von kaltem Tiefenwasser abtrennt, länger stabil bleibt. So verlängert sich nicht nur die Wachstumsperiode im lichtdurchfluteten Oberflächenwasser, sondern auch die Zeitspanne, in der das Sauerstoffreservoir im Tiefenwasser aufgezehrt und vermehrt Phosphat aus dem Sediment zurückgelöst wird. Im Stechlin hat sich diese Zeit in den letzten 30 bis 40 Jahren bereits um rund 30 Tage verlängert.

Wie weiter?

Wir sind uns einig, dass es letztendlich nicht entscheidend ist, was den Stein ins Rollen gebracht hat. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen sind keine zwingende Voraussetzung für sachlich begründete Entscheidungen zum weiteren Vorgehen. Vielmehr lautet die zentrale Frage, ob die aktuellen Entwicklungen toleriert werden können – und sollen? Oder ob Überlegungen und Anstrengungen notwendig sind, um den Negativtrend zu bremsen, ihn zu stoppen oder sogar umzukehren. Die unmittelbare Anschlussfrage lautet, welche Maßnahmen in Frage kommen und welche ausgeschlossen werden sollten. Dies erfordert letztendlich eine gesellschaftliche und politische Antwort.

Der Text basiert auf einem Artikel im Informationsheft des Fördervereins "Naturlandschaft Stechlin und Menzer Heide" vom Mai 2020.

Ansprechpersonen

Mark Gessner

Abteilungsleiter*in
Forschungsgruppe
Ökosystemprozesse

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