Einblick
Angelina Tittmann

Prädiktive Ökologie: IGB startet neuen Programmbereich

Der globale Wandel stellt unsere Gesellschaft vor immense Herausforderungen – besonders im Hinblick auf die nachhaltige Nutzung und den Schutz unserer Seen, Flüsse und Feuchtgebiete. Dürren, Überschwemmungen, veränderte Landnutzung sowie die fortschreitende Urbanisierung beeinflussen die Qualität und Verfügbarkeit der Wasserressourcen und den Zustand der Ökosysteme auf dramatische Weise. Um die Auswirkungen dieser Entwicklungen besser zu verstehen und ihnen begegnen zu können, hat das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) einen neuen zukunftsweisenden Programmbereich eingerichtet: „Prädiktive Ökologie im Anthropozän“. Damit setzt das IGB eine entscheidende strategische Weiterentwicklung im Rahmen eines sogenannten Sondertatbestandes um.

Stürmische Zeiten am Müggelsee: Ein Sinnbild für die Herausforderungen, vor denen unsere Gewässer im Zuge des globalen Wandels stehen. Die Folgen und mögliche Lösungen stehen im Fokus eines neuen Programmbereichs am IGB. | © David Ausserhofer/IGB

Ziel des neuen Programmbereichs ist es, die komplexen Reaktionen von Süßwasserökosystemen und ihren Lebensgemeinschaften auf die Herausforderungen des globalen Wandels besser zu verstehen und präziser vorhersagen zu können. „Mit der Integration interdisziplinärer Ansätze und neuer wissenschaftlicher Methoden wollen wir dazu beitragen, Prioritäten für den Schutz der biologischen Vielfalt und für die Sicherung essenzieller Ökosystemfunktionen, die Binnengewässer für uns Menschen erbringen, zu setzen“, erklärt IGB-Direktor Prof. Dr. Luc De Meester.

Im Fokus steht dabei die Kombination von Modellierung und empirischer Forschung, die Berücksichtigung ökologischer Organisationsebenen – vom Individuum bis zum gesamten Ökosystem – und die Analyse auf unterschiedlichen räumlichen Skalen. Dieser Ansatz soll neue Erkenntnisse über die ökologische Dynamik aquatischer Systeme liefern und gleichzeitig Grundlagen für eine evidenzbasierte Politikberatung und ein nachhaltiges Gewässermanagement schaffen.

Die für die Umsetzung des neuen Programmbereichs nötige Erhöhung der Grundfinanzierung des IGB wurde Ende des Jahres 2024 von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern beschlossen. Nach einer dreijährigen Aufbauphase wird der Sondertatbestand in seiner Endausbaustufe im Jahr 2028 in den Kernhaushalt überführt und steht dann dauerhaft als zusätzliche jährliche Finanzierung in Höhe von rund 2,2 Millionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommen jährliche Eigenmittel des IGB in Höhe von über 500.000 Euro.

Dadurch entsteht zusätzliche Expertise in mindestens acht neuen Forschungsgruppen. Drei dieser Gruppen haben ihre Arbeit bereits aufgenommen. Wir wollten wissen, an welchen Themen sie arbeiten und welche Herausforderung sie dabei sehen:

Sami Domisch

© David Ausserhofer/IGB

Sami Domisch, Sie sind einer der Sprecher des neuen Programmbereichs und erforschen mit Ihrer Gruppe die globale Süßwasserbiodiversität. Um Veränderungen vorherzusagen zu können, müssen Arten und Lebensräume zunächst erfasst werden. Unter Wasser ist das besonders herausfordernd. Wie gehen Sie dabei vor?

Sami Domisch: Unsere Gruppe verfolgt einen räumlichen Ansatz, da die räumliche Verteilung von Arten in der Regel die grundlegendste und am besten verfügbare Information darstellt: Wo kommen Arten vor und welche Faktoren beeinflussen ihre Verbreitung? Zwei Einschränkungen sind dabei zu berücksichtigen: Erstens ist die Überwachung der Süßwasser-Biodiversität weltweit uneinheitlich. Das bedeutet, dass Daten über das Vorkommen von Arten erst mobilisiert oder sogar digitalisiert werden müssen, bevor sie für weitere Analysen nutzbar sind. Zweitens, und vielleicht noch grundlegender, benötigen wir standardisierte Daten über die weltweite Verbreitung von Binnengewässern sowie Umweltinformationen, die deren Eigenschaften beschreiben. 

Unser Fokus liegt auf der Mobilisierung und Generierung solcher Daten auf globaler Ebene. Durch die Kombination dieser beiden Ansätze führen wir biogeografische Analysen der räumlichen Süßwasser-Biodiversität in verschiedenen Teilen der Welt durch. Diese Analysen helfen dabei, Veränderungen in der Artenverteilung zu erkennen, mögliche Umweltfaktoren für diese Veränderungen zu identifizieren, Unterschiede in der taxonomischen oder funktionellen Biodiversität zu bewerten oder Gebiete zu identifizieren, die für den Schutz der Süßwasser-Biodiversität besonders wichtig sind.

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Anne McLeod

© David Ausserhofer/IGB

Anne McLeod, Sie bauen die neue Forschungsgruppe „Computational Ecology“ am IGB auf. Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für den Einsatz solcher Methoden in der ökologischen Forschung, insbesondere im Hinblick auf bessere Vorhersagen?

Anne McLeod: Wir erleben eine Datenrevolution, die das Erheben und Analysieren von Daten immer einfacher macht – sei es durch Fernerkundung, permanente Sensoren vor Ort oder statistische Datenpakete (R-Pakete). Mehr Daten bedeuten jedoch nicht automatisch bessere Daten. Ebenso wenig ersetzt der Einsatz von Fernerkundungstechniken die Feldarbeit, sondern ergänzt sie. Glücklicherweise verbessern sich gleichzeitig die Rechenleistung und die computergestützten Methoden, die Ökologinnen und Ökologen zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass man kein Informatikstudium absolvieren muss, um mit einer Vielzahl von Datenquellen, von Satellitenbildern bis hin zu routinemäßigen Wasserqualitätsuntersuchungen, arbeiten zu können.

So können wir uns auf unsere Arbeit als Ökologen konzentrieren. Denn das Lesen und Forschen muss immer noch gemacht werden – es gibt keine ausgefeilten Analysen oder Datensätze, egal wie groß sie sind, die trotz schlecht durchdachter Fragen und schlecht definierter Hypothesen gute Ergebnisse liefern. Die Kombination aus wachsender Rechenleistung, Open-Source-Wissenschaft und hochauflösenden Daten eröffnet spannende Möglichkeiten für die prädiktive Ökologie. Wir können in unseren Vorhersagen ambitionierter sein, indem wir längerfristige Annahmen und Modelle der Gleichgewichtsdynamik mit kurzfristigen iterativen Prognosen verbinden. Ähnlich wie in der Meteorologie werden Modelle dabei ständig getestet, aktualisiert und verbessert, sobald neue Daten verfügbar sind und neue Erkenntnisse gewonnen werden.

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Daniel Stouffer

© privat

Daniel Stouffer, Sie beschäftigen sich mit der Ökologie komplexer Systeme, zum Beispiel mit Phänomenen, die durch die Interaktion zwischen Arten entstehen. Wie helfen theoretische und datengestützte Ansätze, diese Dynamik zu entschlüsseln? 

Daniel Stouffer: In der Ökologie ist alles miteinander verbunden. So wie das, was an einem Ort geschieht, Auswirkungen auf einen anderen haben kann, kann sich das, was einer Population widerfährt, direkt (z.B. auf den Räuber dieser Art) und indirekt (z.B. auf einen „Superprädator“ dieses Räubers) auf eine ganze Gemeinschaft auswirken. Seit über einem Jahrhundert nutzen Ökolog*innen mathematische Modelle, um die Folgen dieser direkten oder indirekten Interaktionen besser zu verstehen. Sie wollen herauszufinden, was eine Gemeinschaft stabil oder widerstandsfähig gegenüber Störungen macht. Trotzdem bleibt vieles unklar, etwa inwieweit solche Modelle das widerspiegeln, was tatsächlich zwischen Arten im Labor oder in der Natur geschieht. 

Um die Biodiversität angesichts des globalen Wandels zu erhalten, benötigt die Praxis spezifische Erkenntnisse, die auf die jeweiligen Systeme zugeschnitten sind. Wir gehen davon aus, dass solche Ansätze am besten funktionieren, wenn sie von der Theorie geleitet werden. Unsere Gruppe kombiniert daher Daten mit Theorie, um realistischere mathematische Modelle zu entwickeln.- Gleichzeitig achten wir darauf, dass diese Modelle nachvollziehbar genug sind, um auf verschiedene Gemeinschaften in der realen Welt angewendet werden zu können. Theorie hilft uns nicht nur, die gesammelten Daten bestmöglich zu nutzen, sondern liefert auch wichtige Vorhersagen für Phänomene, die experimentell schwer testbar oder nur schwer beobachtbar sind.

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Ansprechpersonen

Sami Domisch

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Globale Süßwasserbiodiversität