
Neben der Quagga-Muschel erschließt sich auch die invasive Zebramuschel neue Lebensräume – wie hier im Stechlinsee. | © Solvin Zankl

© David Ausserhofer/IGB
Im Jahr 2022 starben in der Oder viele Muscheln durch das Gift der Brackwasseralge Prymnesum parvum. Herr Wolter, Sie untersuchen vornehmlich die Erholung der Fischbestände im Fluss nach der Katastrophe durch regelmäßige Befischungen, haben aber auch die Muscheln im Blick. Wie steht es um die Bestände und um eine mögliche Erholung?
Christian Wolter: Tatsächlich sind während der Oder-Katastrophe rund 63 Prozent der Muscheln der Gattungen Anodonta und Unio gestorben. Unsere Stichproben nach dem großen Fisch- und Muschelsterben haben gezeigt, dass sich die Fischbestände schneller erholen als die Muscheln und Schnecken. Das haben wir auch erwartet, weil Fische viel mobiler sind. Generell haben es Muscheln in unseren Flüssen schwer: Unterhaltungsmaßnahmen, die die Gewässersohle beräumen, haben die Muschelvorkommen in vielen Fließgewässern stark reduziert. Zum einen werden die Muscheln mit dem Baggergut ausgebaggert. Zum anderen führen wasserbauliche Maßnahmen in der Regel zu einem erhöhten Sedimenttransport, den die Muscheln wiederum sehr schlecht vertragen. Wenn also die Oder als Wasserstraße weiter ausgebaut wird, werden sich die Muschelbestände in der Mitte des Flusses nicht erholen. Zwar sind viele Muschelarten nach der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) besonders geschützt, dies schließt aber nicht per se den Schutz ihrer Lebensräume ein. Muscheln haben keine Lobby.

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Herr Wolter hat es schon kurz angerissen: Viele Muschelarten in Flüssen sind bedroht. Aber sie sind auch nicht im Fokus von Artenschutzmaßnahmen. Prof. Jähnig, Sie erforschen die Artenvielfalt in Gewässern. Was ist an Muscheln besonders?
Sonja Jähnig: Muscheln sind unscheinbar, aber faszinierend. Eine Muschel kann beispielsweise einige Tage ohne Wasser überleben, wenn sie sich schließt, das ist ihr natürlicher Schutzmechanismus. Muscheln können sehr klein sein, die Erbsenmuscheln (Pisidium) sind ausgewachsen nur 3 Millimeter groß. Eine weitere interessante Muschelart ist die Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera). Früher wurde sie zur Perlenzucht und zur Perlmuttgewinnung genutzt. Sie kann bis zu 280 Jahre alt werden und sich bis zu 75 Jahre lang fortpflanzen. Die Nachkommen der Flussperlmuschel leben mehrere Monate parasitisch an den Kiemen von Bachforellen. Diese Abhängigkeit von einer einzigen Fischart ist einer der Gründe für ihre starke Gefährdung. In Europa ist ihr Bestand in den letzten 90 Jahren leider um mehr als 90 Prozent zurückgegangen. Deshalb wird die Art auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN als vom Aussterben bedroht eingestuft. Sie ist auch in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) im Anhang IV der Arten aufgeführt, die auch außerhalb von Natura 2000-Gebieten geschützt sind. Den heimischen Süßwassermuscheln geht es also nicht besonders gut.
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Frau Hilt, Sie untersuchen die Wechselwirkungen zwischen Algen, Wasserpflanzen und Lebewesen in Seen. Welche wichtige Rolle spielen dabei Süßwassermuscheln?
Sabine Hilt: Muscheln ernähren sich von Kleinstalgen. Sie filtern sie aus dem umgebenden Wasser heraus und geben wiederum Nährstoffe ins Gewässer ab. Sie fressen auch Cyanobakterien, die Giftstoffe bilden können. Wenn viele Muscheln im Gewässer vorkommen, ist das Wasser klarer. Das Sonnenlicht kann tiefer eindringen und Wasserpflanzen wachsen besser. Die wiederum bilden Sauerstoff für andere Lebewesen. Muscheln wirken sich also im Allgemeinen positiv auf die Wasserqualität aus. Invasive Arten wie die Zebramuschel (Dreissena polymorpha) oder auch die Quagga-Muschel (Dreissena rostriformis bugensis) können jedoch Massenbestände ausbilden und z.B. einheimische Muschelarten verdrängen, indem sie ihnen die Lebensräume und Nahrungsgrundlagen streitig machen. Die Quagga-Muschel ist dabei besonders erfolgreich, da sie kein Hartsubstrat braucht und auch auf sandigem oder schlammigem Untergrund leben kann. In Deutschland wurde diese Art erstmals 2005 nachgewiesen. Eingeschleppt wird sie in der Regel über verschiedene Pfade wie Boote oder anderes Equipment, das von Menschen im Wasser genutzt wird – aber auch über den Handel mit Pflanzen und Tieren für den Gartenteich. Mittlerweile ist die Quagga-Muschel in vielen Gewässern die Art mit der höchsten Biomasse. Im US-amerikanischen Lake Michigan macht die Muschel mittlerweile rund 90 Prozent der Biomasse aus.
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Prof. Jeschke, Sabine Hilt hat die massive Ausbreitung invasiver Süßwassermuscheln angesprochen. Sie forschen zu invasiven Arten und neuartigen Lebensgemeinschaften. Warum ist es dabei wichtig, die Risiken möglichst schnell abschätzen zu können?
Jonathan Jeschke: In einer Studie haben wir die langfristige Populationsdynamik der Quagga-Muschel und der invasiven Zebramuschel in Europa und Nordamerika untersucht. Dabei stellten wir fest, dass die Populationen beider Arten in den ersten ein bis zwei Jahren nach ihrem Auftreten oft sehr schnell wachsen. Das ist natürlich eine Herausforderung für die Eindämmung, denn die Etablierung neuer Muschelarten bleibt häufig einige Zeit unbemerkt, weil es dafür nur selten gezieltes Monitoring gibt. Um ein wissenschaftliches Frühwarnsystem zu etablieren und die langfristigen Dynamiken invasiver Arten zu erforschen, haben wir das Invasion Dynamics Network gegründet. Außerdem haben wir ein Klassifikationsschema entwickelt, das Publikationen und Hypothesen zur Invasionsbiologie systematisch ordnet. Dieses Schema hilft, Daten und Informationen zu integrieren und besser nutzbar zu machen sowie Wissenslücken gezielt zu identifizieren. Mit zunehmender Bedeutung künstlicher Intelligenz können solche Klassifizierungssysteme zu wichtigen Referenzen für die Organisation wissenschaftlicher Informationen werden. Gleichzeitig bildet unser Ansatz die Grundlage für Werkzeuge, die noch gezielter auf die Bedürfnisse der Akteure im Management invasiver Arten zugeschnitten sind.

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Die Quagga-Muschel kommt auch im Berliner Müggelsee vor. Herr Mauch, Sie untersuchen, wie die Muschel ihren Lebensraum dort beeinflusst. Was fällt besonders auf?
Jonas Mauch: Die Quagga-Muschel kommt im Müggelsee inzwischen in so hoher Dichte vor, dass das gesamte Wasservolumen des Müggelsees bis zu zweimal am Tag gefiltert wird. Dadurch haben sich viele Prozesse im See verändert. Das Wasser ist klarer und es wachsen wieder mehr Wasserpflanzen, zum Beispiel auch seit Jahrzehnten erstmals wieder Armleuchteralgen. Wir konnten auch zeigen, dass die Quagga-Muscheln dazu beigetragen haben, die Cyanobakterienbiomasse im Müggelsee zu reduzieren – allerdings nur bei Temperaturen unter 28 Grad. Bei höheren Temperaturen schließen die Muscheln ihre Schalen und filtrieren nicht mehr. Außerdem filtrieren sie nicht alle Arten von Cyanobakterien gleich stark. Die potenziell giftige Cyanobakterienart Anabaena flos-aquae wird in hohen Raten filtriert, eine andere weit verbreitete und potenziell giftige Art, Microcystis aeruginosa, hingegen kaum. Daher kann man nicht pauschal sagen, dass Quagga-Muscheln Cyanobakterienblüten reduzieren. Es kommt immer stark auf die Artenzusammensetzung an. Außerdem muss man den Einfluss des Klimawandels mit steigenden Temperaturen und erhöhtem Auftreten von Hitzeperioden beachten, die der Muschelfiltration entgegenwirken können.
A conceptual classification scheme of invasion science
More than we bargained for: zebra mussels transported amongst European native freshwater snails
Periphyton in urban freshwater facilitates transformation of trace organic compounds: a case study on iodinated contrast media

Zebramuscheln | © Solvin Zankl

Flussmuschel | © Solvin Zankl

Zebramuscheln | © Solvin Zankl