Wie klingt Regen unter Wasser? Können Fische „sprechen“? Sehen Wasserflöhe Farben? Warum kann sich ein kleiner Fisch ohne Muschel nicht fortpflanzen? Und wer müsste handeln, damit sich eine Umweltkatastrophe wie das Fischsterben an der Oder nicht wiederholt? Das sind einige der Fragen, die in den einzelnen Veranstaltungen aufgegriffen wurden. Und jede davon eröffnete einen neuen Blickwinkel auf die Wechselbeziehungen von Mensch, Natur und Fluss und schuf Raum für einen intensiven Austausch.
DISTURBED WATERS: Gestörte Gewässer und „tanzende“ Wasserflöhe
Die Session DISTURBED WATERS: LIGHT AND NOISE INTERFERENCES vermittelte einen Eindruck davon, wie intensiv Licht- und Lärmbelastungen das Leben in Gewässern beeinflussen. Das Dröhnen vorbeifahrender Boote, das Rauschen der Wellen, der Klang des Regens und wechselnde Lichtverhältnisse verschmolzen zu einer Klang- und Lichtkomposition, die die Unterschiede zwischen natürlichen und vom Menschen beeinflussten Bedingungen hautnah erlebbar machte.
Ein Live-Experiment von IGB-Postdoktorand Nedim Tüzün brachte winzige Wasserflöhe zum „Tanzen“, denn diese reagieren erstaunlich empfindlich auf Lichtfarben: Grünes Licht zieht sie beispielsweise an, blaues Licht lässt sie in der Wassersäule absinken. Das wird im Gewässer schnell zum Problem, wenn künstliches Licht die nächtliche Auf- und Abwärtsbewegung dieser Kleinstlebewesen und somit das aquatische Nahrungsnetz stört.
© Angelina Tittmann/IGB
Auch Fische werden beeinträchtigt, wie IGB-Forscher Markus Venohr anschaulich erklärte: „Der Frequenzbereich der unterschiedlichen menschlichen Lärmquellen überlagert sich stark und deckt so den gesamten Kommunikations- und Hörbereich der meisten Unterwasserlebewesen ab. Man kann sich also gut vorstellen, dass der Austausch von Signalen, zum Beispiel zum Anlocken von Partnern für die Fortpflanzung oder zur Warnung vor Fraßfeinden, dann nicht mehr funktioniert.“ Im anschließendes Gespräch stellte er zusammen mit der Klangkünstlerin Francisca Rocha Goncalves und IGB-Kollege Franz Hölker weitere Forschungsergebnisse zur Lärm- und Lichtverschmutzung unter Wasser vor.
SONIC DIVE: Eine Telefonzelle als klingende Unterwasserkabine
Passend dazu verwandelte sich die Teledisko am Holzmarkt sieben Tage lang in eine „Freshwater Disco“ und damit in eine faszinierende Unterwasserwelt. „Wir wollten einen Raum schaffen, in dem Menschen ganz unvermittelt in die Rhythmen und Klänge der Unterwasserwelt eintauchen können“, erklärt Francisca Rocha Goncalves. Hier konnte das Publikum erkunden, wie vielfältig Gewässer klingen können, aber auch wie die Eingriffe des Menschen das Leben im Wasser verändern. Über 1.300 Besucherinnen und Besucher nutzten die Gelegenheit zum „Tauchgang“.
ODER HIVE: Die Oder als verbindendes Gewässer
Auch bei ODER HIVE, einer Kooperation des Künstlerkollektivs FrauVonDa// mit dem IGB, begann die Performance akustisch: Die Klangkompositionen von Claudia van Hasselt und Nicolas Wiese in Verbindung mit freien Improvisationen des Ensembles und Kompositionen des polnischen Komponisten Wojtek Blecharz machten den Fluss auf sinnlich-assoziative Weise wahrnehmbar. „Uns geht es darum, Sinne und Verstand gleichermaßen anzusprechen, damit das Publikum die Oder als verbindendes Gewässer – also als Flussgemeinschaft und einzigartigen Lebensraum von Menschen, Tieren und Pflanzen – erfahren kann“, erklärt Claudia van Hasselt. Denn nur so könnten Gemeinschafts- und Verantwortungsgefühl entstehen, ist sie sich sicher.
© FrauVonDa//
Dieses Verständnis von Gemeinschaft griff die IGB-Expertin Sonja Jähnig in ihren einführenden Erläuterungen auf. Sie erklärte, dass Flüsse hochdynamische Systeme sind, die ganz verschiedene Organismen beherbergen. Diese sind nicht nur auf faszinierende Weise an ihren jeweiligen Lebensraum angepasst, sondern stehen in wechselseitigen Beziehungen miteinander, die die Gemeinschaften unter Wasser entscheidend prägen. So zum Beispiel Bitterlinge und Süßwassermuscheln, die für ihre jeweilige Fortpflanzung eng aufeinander angewiesen sind. „In der Natur ist alles miteinander verbunden: Wird ein Lebensstadium gestört, kann das eine Population beeinflussen; verschwindet eine Art, kann das langfristige Folgen für das gesamte Ökosystem haben.“ Ob sich ein einmal geschädigtes Ökosystem wie die Oder wieder vollständig erholen kann, sei daher nur schwer vorherzusagen.
Die polnische Umweltethikerin Hanna Schudy bereicherte die anschließende Diskussion mit ihrer grenzüberschreitenden Perspektive und ordnete die verschiedenen politischen und zivilgesellschaftlichen Herausforderungen auf beiden Seiten des Flusses ein. Für viele im Publikum war die Performance ein Anstoß, ihre eigene Beziehung zur Oder zu reflektieren. Eine Besucherin kommentierte im Anschluss berührt: „Das war das Beste, das ich diese Woche gesehen habe!“
ODER HIVE: Den Fluss mit anderen Sinnen erkunden
Auf dem Campus der Berlin Science Week war ODER HIVE am 1. und 2. November mit einem großen, vibrierenden und tönenden Objekt vertreten, das die Besucherinnen und Besucher dazu einlud, die ,Lebendigkeit‘ der Oder zu erspüren. „Mit unserem Objekt möchten wir das Publikum in die Lage versetzen, in die Wahrnehmung nicht-menschlicher Lebensformen einzutauchen, die Perspektive zu wechseln und dadurch mehr Empathie zu entwickeln,“ beschreibt Nicolas Wiese von FrauVonDa//. Forschende des am IGB koordinierten Sonderuntersuchungsprogramms zur Umweltkatastrophe in der Oder (ODER~SO) informierten die Gäste der Ausstellung umfassend über den Fluss und die Ursachen und Folgen des Fischsterbens im Jahr 2022, so dass sinnliche Wahrnehmung auch hier auf Fakten traf.
Nicht verpassen: Veranstaltungen im Dezember und Januar
Im wahrsten Sinne des Wortes grenzüberschreitend reist das ODER HIVE Programm am 14. Dezember 2024 im Kulturzug von Berlin nach Breslau. Mit an Bord sind FrauVonDa// und IGB-Experte Christian Wolter, der seit fast drei Jahrzehnten an der Oder forscht und ihre Fischgemeinschaften wie kaum ein anderer kennt.
Klanglandschaften, visuelle Poesie, wissenschaftliche Vorträge und offene Diskussionsrunden erwarten das Publikum auch bei der ODER HIVE Performance und Installation am 11. und 12. Januar 2025 in der Villa Elisabeth in Berlin. Neben neuen Elementen kommt hier auch das Vibrationsobjekt zum Einsatz, damit der Fluss und seine Geschöpfe Teil der eigenen Erfahrungswelt werden können.
Tauchen auch Sie ein und entscheiden Sie selbst, ob Sie Zuschauer*in oder Teil des Geschehens sein wollen. Wir freuen uns darauf!
Einen Überblick über die Kooperationen von Kunstschaffenden mit dem IGB finden Sie hier >